Bildbericht von René Senenko
Aktionswoche der Gruppe Grenzlos, März 2007:
Unterwegs beiderseits der sächsisch-böhmischen Grenze

"Was, mit dem Leihwagen nach Tschechien? Und dann noch nachts am Grenzübergang, wo um diese Zeit wenig los ist und die Grenzer auf solche wie uns nur warten? Das kann heiter werden!" Trotz dieser aus langer Erfahrung geschöpften Bedenken: Wir wagten die Fahrt. Denn die jährliche Zusammenkunft der Gruppe Grenzlos bot wieder einmal Anlass, zehn Tage lang zwischen Dresden und Nordböhmen umherzustreifen. Noch bevor wir in Dresden, der ersten Station unserer Tour eintrafen, besuchten zwei von uns den jüdischen Friedhof in Berlin-Weißensee und die Ausstellung "Kunst und Propaganda" im Deutschen Historischen Museum in Berlin. Ein guter Auftakt für die bevorstehende Woche, wie wir fanden. 

  
Einer der größten jüdischen Friedhöfe Europas: Jener zu Berlin-Weißensee. Gegen die Privatisierung kommunaler Einrichtungen: Andrea Müller-Hutschenreuter von der Dresdner Linkspartei. Eine engagierte Gesprächspartnerin und gute Gastgeberin. 
Ihren Unmut über den gerichtlich durchgesetzten Landesparteitag der NPD im Pirnaer Berufsbildungszentrum machten viele Antifaschisten und Gewerkschafter auf der Wiese unterhalb der Tagungstätte Luft.  

 

Als ob wir es nicht besonders eilig hätten, an die Grenze zu kommen, ließen wir uns vom schönen Dresden noch über zwei Nächte gefangen nehmen. Wir trafen uns mit der stellvertretenden Stadtvorstandsvorsitzenden der Dresdner Linkspartei Andrea Müller-Hutschenreuter, mit der wir über die Auseinandersetzungen innerhalb der Dresdner Stadtfraktion (Stichwort: Woba-Verkauf) diskutierten. Am Samstag besuchten wir die wirklich sehenswerte Sonderausstellung zur Euthanasie im Dresdner Hygienemuseum. Und andernabends kamen wir mit dem Dresdner Freund Daniel Weigelt ins Gespräch, der uns von den Gegenaktionen der Antifaschisten zum Naziaufmarsch am 13. Februar in Dresden erzählte. Von ihm erfuhren wir auch, dass am nächsten Morgen (am 4.3.) die sächsische NPD in Pirna ihren Landesparteitag abhalten wolle, weshalb zwei Gegendemonstrationen geplant seien. Also fuhren wir kurzerhand am Sonntagmorgen nach Pirna und beteiligten uns - zusammen mit rund 200 Menschen - an der vom DGB kurzfristig angesetzten Aktion. Immerhin: die Medien berichteten darüber. 

 

Bianca Lipanska, Studentin und Enkelin eines einstigen tschechoslowakisch-jüdischen KZ-Häftlings an unserer Gedenktafel unweit Rugiswalde. 

 

Das Foto aus der Euthanasie-Ausstellung im Dresdner Hygiene-Museum spricht für sich. Was mit dem Vermessen begann, mündete unter den Nazis in der Vernichtung "lebensunwerter" Menschen.  Nicht ohne Meinungsverschiedenheiten. Ein Foto nach unserer Gesprächsrunde mit dem Direktor des Afrikahauses Sebnitz, Franz Irlich (2.v.r.). 

Nachmittags der eigentliche Reiseanlass. In Rugiswalde berieten wir zu unserer jährlichen Zusammenkunft die nächsten Vorhaben unserer Gruppe. Ute und Dietmar Näser zeigten aktuelle Fotos von der beschädigten Todesmarsch-Gedenkstätte in Česká Lípa. Die aus Prag angereiste Übersetzerin Bianca Lipanska skizzierte die tschechisch-jüdischen Projekte ("Hungermarsch"-Broschüre), an denen sie bisher Anteil genommen hat. Holm Theinert vom Bund der Antifaschisten Radeberg und Holger Bartz von der Jumawa Sebnitz stellten ihre Gruppen vor. Rainer Böhme informierte über seinen Brief an den Bürgermeister von Hohnstein, in welchem er gebeten hatte, den diskutierten Tafeltext an der neuen Stele (wir berichteten) noch einmal zu überdenken. Der Bürgermeister habe, so Rainer, in seiner kurzen Antwort lediglich auf die Tafel selbst verwiesen... Reinhardt Richter berichtete vom Stand der Stolperstein-Initiative in Sebnitz, die von der Gruppe Grenzlos angeregt worden ist. Außerdem sorgte Reinhardt mit humoristischen Einlagen in seiner Hinterhermsdorfer Mundart für Abwechslung. 

Abends dann fanden wir, die aus Norden angereisten Teilnehmer, keinen überzeugenden Vorwand mehr, der uns in Sebnitz vom Wechsel der Grenze abhalten könnte. "Fahr bloß nicht zu langsam an die Grenze ran und kurble schon mal das Fenster runter. Es muss routiniert aussehen. Nur nicht den Eindruck erwecken, dass du als Fahrer dich mit dem eigenen Wagen nicht auskennst!" So meine Ratschläge an den Fahrer. Die beiden Grenzerinnen ließen uns nach einem kurzen Check der Papiere rasch passieren. Schade aber auch. Keine Abenteuer am Grenzübergang! Etwas gutes hatte die rasche Abfertigung: Wir konnten pünktlich unser Quartier in Mikulašovice beziehen. 

Für Montag hatten wir uns beim Direktor des Sebnitzer Heimatmuseums und des Afrikahauses, Franz Irlich, zu einem Gespräch eingeladen. Während der Führung durch das Afrikahaus traten einige Meinungsverschiedenheiten zutage, die auch der Anlass unseres Besuchs waren. Sie betrafen die Darstellung von zwei Installationen in der ständigen Ausstellung des Hauses. Wir verstehen nicht, weshalb die Präsentation über die Nazi-Ästhetin Leni Riefenstahl (Nuba-Fotos und Video) Bestandteil der ständigen Ausstellung bleiben soll und warum der brutale Kolonialist Dr. Carl Peters ganz unkommentiert in Heldenpose in einem Diorama posiert. 


Unbehaglich: Wie die lokale CDU Denkmäler umwidmet: Neue Stele vor der Burg Hohnstein.

 

Weniger unbehaglich: Grenzlos-Treffen in einem alten Umgebindehaus.  Blick vom Kreuzberg bei Jiřetín. 

Zum Verschnaufen blieb keine Zeit, denn am Nachmittag bat uns die Journalistin der "Sächsischen Zeitung" Dr. Anneke Hudalla zu einem Pressegespräch. Das Resultat erschien wenig später in der "Nachbarland"-Seite der SZ. Dienstags besuchten wir die Burg Hohnstein und nahmen die im Januar anlässlich des Auschwitz-Gedenktages eingeweihte fragwürdige Stele am OdF-Ehrenmal vor der Burg in Augenschein. In der Sächsischen Zeitung hatten wir bereits zu dieser Umwidmung kritisch Stellung bezogen. Auch nutzten wir das schöne Wetter für einen Ausflug zur Bastei. Leider fiel das für den Abend in Dresden geplante Konzert (Abschiedstour) mit Bettina Wegener wegen der Erkrankung der Künstlerin aus. 

 

Fotografieren verboten heißt es in der wieder zugänglichen Loreto von Rumburk. Hier eine Aufnahme vom Eingang des Gesamtkomplexes.   Nationales Naturdenkmal der Tschechischen Republik: Die Basaltwände von Panská skála (Herrnhausfelsen) bei Prácheň.
 
Ebenfalls das Ziel unserer Aktionswoche: "Die vergessenen Helden". Aus 10 solcher Text- und Fotobanner besteht die Projektausstellung über die Antifaschisten der nationalen Minderheiten der ČSR in den 30er Jahren. Zur Zeit im Tschechischen Zentrum Dresden. 

"Mir machen ä bissl eene Rundfooohrt, noooh. Wolln Ä Stickl rumfooohren und gucken", meinte unser Salmover Freund Herbert Rösler. Wenn Herbert so sprach, war das eine Einladung an uns, in seinem Kleinbus einen Ausflugstag lang den Schluckenauer Zipfel zu erkunden. Also chauffierte er uns zu der seit jüngstem wieder zugänglichen Loreto in Rumburk (einer alten Klosteranlage), zum Křížová hora (Kreuzberg), zur Burgruine Tolštejn (Tollenstein) und zu den Basaltorgeln von Panská Skála, - um nur die interessantesten Stationen zu nennen. Abends luden die Näsers zur Filmvorführung von Jiří Menzels "Dörfchen, mein Dörfchen" ein, ein wirklich passender Ausklang dieser Nordböhmentour. Während einige Freunde am Donnerstag zur Euthanasie-Gedenkstätte auf den Sonnenstein (Pirna) fuhren, überbrachte ich unserem ältesten Mitglied, der 91jährigen Welly Hempel, zum Frauentag ein paar Blumen. Leider ging es Welly gesundheitlich nicht sonderlich gut. Doch mit zunehmenden Temperaturen hofft sie auf Linderung ihrer Atembeschwerden. "Weeßte, René, den Brief, den du mir geschickt hast, ham'se weg getan. Ich kunnt gar ne so schnell gucken." So geht das in der Seniorenanlage. Da hilft nur eins: Wiederkommen. 
Doch erst einmal hieß es "Schulz!". Wir verließen die dunklen Wälder Nordböhmens, tankten noch einmal für 30 Cent weniger (als in Germany) und drohten allen, von den wir Abschied nahmen, unser unbedingtes Wiederkommen an. 

Alle Jahre wieder ... ein Besuch der Burgruine Tolštejn.

 Fotos:  Senenko