Bildbericht mit Fotos von Angelika Mundt, Markus
Schneider und René Senenko
25.9.-4.10.2009:
Treffen
der «Schwarzheider» in Prag -
Jahrestreffen der Gruppe Grenzlos bei Saupsdorf - Rundfahrt
im Erzgebirge
Nicht nur Weine müssen reifen. Auch unser Jahrestreffen ließ auf sich warten und geriet
gut. 19 Freunde aus Bielefeld, Chemnitz, Hamburg,
Hinterhermsdorf, Neustadt/ Sachsen, Norderstedt, Radeberg, Rugiswalde, Sebnitz und
Strausberg (bei Berlin) waren am 27. September in der reizvoll gelegen
Gnauckmühle in der Hinteren Sächsischen Schweiz angereist. Und das bei schönster Spätsommersonne.
Streifen wir kurz die wichtigsten Themen der Tagung. René
Senenko und Angelika Mundt, die gerade von der Mitgliederversammlung der
überlebenden Schwarzheide-Häftlinge kamen (die am 25.9. in Prag statfand), regten an, die
für nächstes Jahr geplante Gedenkfahrt der "Schwarzheider"
nach Sachsenhausen und Kamenz zu unterstützen. Dieser Vorschlag fand
Zustimmung. Dann stellten die
Vertreter der Gästegruppen stellten ihre aktuellen Vorhaben und ihre
Pläne für die nächsten Monate vor. Nach einer Gedenkminute an der
Todesmarschgedenktafel, die seit Mitte der 80er Jahre den hier im April 1945 von
der SS ermordeten Häftlingen gewidmet ist,
führte der Gastgeber Herbert Schäfer die Teilnehmer um das Gelände der Gnauckmühle herum
und erzählte aus der langen Geschichte der einstigen Wassermühlenbetriebs.
Hier sei nur angemerkt dass zu
DDR-Zeiten das Objekt als Kinderferienlager des Zittauer Verkehrsbetriebes
diente.
Mit
Mundartstücken aus der Hinterhermsdorfer Region, die launig und gekonnt
Reinhard Richter zum Besten gab, klang der Tag beim abendlichen Grill aus.
Erwähnt werden muss noch dass einer der hier im April 1945 an der Mühle
erschossenen Häftlinge aus der Todeskolonne Josef Lichtenstein hieß (richtig
müsste es Lichtenstern heißen). Auch sein Name ist auf der Gedenktafel
genannt. Wie der Zufall so spielt, machte uns zur Jahresversammlung Monika
Richter, die im Sebnitzer Heimatmuseum arbeitet, mit einer Email bekannt, die an
ihr Museum gerichtet war. Darin bat Jürgen Schwiening, so der Name des Absenders, um Unterlagen und Informationen über eben jenen Josef
Lichtenstern. Er wolle im Auftrag der Angehörigen Lichtensterns, die in England
leben, den Verbleib des Josef erkunden, der im Alter von nur 30 Jahren an der Gnauckmühle
den Tod fand. Bisher wusste die Familie nichts über die genauen Umstände
des Todes und über seine letzte Ruhestätte, die sich seit langem auf dem
Friedhof Saupsdorf befindet.
Selbstverständlich werden wir uns dieses Falls annehmen und hierüber weiter
berichten, wenn es an der Zeit ist. Jürgen Schwiening hat versprochen, uns
mit den Resultaten seiner Erkundungen bekannt zu machen.
Beim Treffen der
Schwarzheide-Überlebenden und ihrer Angehörigen in Prag |
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Hausherr Herbert Schäfer vor der Gedenktafel an seiner Mühle | Das Jahrestreffen der "Gruppe
Grenzlos". 19 Freunde fanden sich an der Gnauckmühle bei Saupsdorf ein. |
Es ist schon Tradition geworden dass
nach dem Jahrestreffen eine Handvoll Freunde der Gruppe Grenzlos zu einer einwöchigen
Exkursion aufbrechen. Dieses Mal waren Angelika, Markus, Harald, Kamal und
René mit von der Partie. Schwerpunkt unserer diesjährigen
Busrundfahrt ins Erzgebirge sollte die Geschichte des Erzbergbaus und des
Uranbergbaubetriebes Wismut
sein. Das hat seinen guten Grund. Vater und Großvater von zwei Freunden
unseres Reiseteams waren in den 50er Jahren untertage bei der Wismut
beschäftigt.
Für unser Unternehmen wollen wir in Boží Dar (Gottesgab) direkt auf dem
tschechisch-deutschen Erzgebirgskamm (der Grenze) unser Quartier aufschlagen, weil von hier aus alle Ziele sowohl
auf böhmischer als auch sächsischer Seite rasch zu erreichen sein werden.
Auf der Fahrt von Saupsdorf nach Boží Dar machen wir Station in Duchcov (Dux), dem 9000
Einwohner zählenden Casanova-
und Bergbaustädtchen, und auf dem legendären Schreckenstein (č.
Střekov) bei Ústí nad Labem. In Dux empfängt uns unser Freund Jaroslav Drbohlav, ein Berufsschullehrer, der uns eine Ausstellung zur
Stadtgeschichte zeigt und zu einigen sehenswerten Denkmälern führt. Wir sind
nur auf der Durchreise, und es bleibt zu wenig
Zeit, um uns mit den heutigen Problemen der Region näher zu befassen und das
Zentrum von Duchcov zu besichtigen. Das wollen
wir ein andermal nachholen.
Duchcov/ Dux. Das Denkmal für die Opfer Naziverfolgung | Jaroslav Drbohlav bei
der Führung durch die stadt- geschichtliche Ausstellung in Dux |
Auf dem Schreckenstein (bei Ústí an der Elbe) |
Der kleine, rauhe Flecken Boží Dar
wirbt mit dem Prädikat "höchstgelege
Stadt Mitteleuropas". Mehr als 1000 Meter über NN. Wintersportgäste finden sicher dort ihre Ruhe.
Sehenswert ist das modern eingerichtete Museum (eigentlich eine Heimatstube) und
ein kilometerlanger Wassergraben für den Antrieb im einstigen Bergbau. Bereits
im 16. Jh. ist er angelegt worden. Einer der bekanntesten griechischen
Schriftsteller, Nikos Kazantzakis („Alexis Sorbas“), hat in der Abgeschiedenheit dieses Orts
ab Ende der 20er Jahre für einige Zeit hier gelebt. Der berühmteste Besucher
des Orts, wie man im Museum erfahren kann. Darauf ist Boží Dar
heute stolz, so dass es hier auch ein Denkmal für den prominenten Griechen gibt. Egon Erwin Kisch war
es, der dem Schriftsteller geraten hatte, in Nordböhmen die Ruhe zum Schreiben zu
suchen.
In Bärenstein klappern wir Touristeninformation und Rathaus ab und fragen Leute
auf der Straße, ob sie nicht jemanden kennen, der einst im benachbarten Ort Niederschlag bei der Wismut tätig gewesen
sei.
"Wismut" war das deutsch-sowjetische Uranerz-Bergbau-Unternehmen im
Erzgebirge, das mit dem Ende der DDR seinen Betrieb für immer eingestellt hat. Wir
suchen den Wismut-Stollen zum Objekt Nr. 7, sagen wir. Denn da hat vor 60 Jahren
der Großvater von einem
unserer Mitreisenden als Hauer gearbeitet.
Die Erzgebirgler sind ein gemütliches und vor allem hilfsbereites Völkchen. In
der Gaststube "Bärensteiner Einkehr" erfahren wir von dem
freundlichen Wirtshausmann und einem Gast schon wichtige Details
über den Stollen in Niederschlag. Sie zeichnen uns auf einem Zettel die Stelle
auf, wo der Stollen sich einst befand. Doch zu sehen sei da nicht mehr viel, sagen
sie. Aufregung
kommt auf, als der Wirt einen Mann in die Gaststube zieht,
der von 1953 bis zur Schließung des Stollens 1955 selbst dort als Hauer und
Schießer Uranerz
zutage gefördert habe. Ernst B., heute 78 Jahre, drahtig und äußerst rüstig, freut sich
sichtlich über unser Interesse. Er müsse nur noch rasch zum Friseur, dann wolle er uns gern mehr erzählen. Endlich besteigt er
unseren Kleinbus und leitet ihn vor sein Haus, das in einer schmucken
Bergleutesiedlung steht (zu DDR-Zeiten hieß sie "Siedlung des
Friedens"). Auch seine Frau, die uns empfängt, hat nichts gegen den
Überraschungsbesuch (...immerhin sind wir zu fünft). Im Vorhäuschen
des blockhüttenartigen Einfamilienhauses erzählt uns dann Ernst B. von seinen Zeit bei der
Wismut. Er ist stolz auf diese Jahre, auf den Zusammenhalt der Kumpels, auch wenn sie schwer und der Gesundheit abträglich waren, -
all das möchte er in seiner Biografie nicht missen. Ernst B. zeigt uns
seine Arbeitskleidung, die er aufbewahrt hat, seinen Helm und die Karpidlampe. Immer mehr schleppt er für uns
heran: Bohrproben, Grubenlampen, Vidiaköpfe, Steine und Fotos. Es wird lebhaft
in der Diele. Immer lebendiger erzählt der Bergmann. Er verteufelt die Russen nicht,
auch den Uranerzbergbau nicht und die Knochenarbeit nicht. Andererseits verschweigt er uns die Risiken
seines einstigen Berufs nicht, die Gefahren und Krankheiten nicht und auch nicht
die Unfälle und die Klinikaufenthalte, die er überstehen musste. Man sieht es
ihm an: Er ist
glücklich, Menschen wie uns zu treffen, die ihn ernst nehmen, die Fragen stellen
und zuhören. Sobald in seiner Erzählung etwas unklar bleibt, ergänzt seine
Frau das Geschilderte. Ein gutes Gespann, die Beiden. Als jemand von uns fragt, ob er denn - stünde er heute vor der
Entscheidung - untertage bei der Wismut wieder Uranerz abbauen würde, antwortet der
Alte ohne zu zögern und unmissverständlich: Jederzeit! Beeindruckt verlassen wir nach zwei Stunden das kleine
Blockhaus des Ehepaars B. Wir haben einen Wismut-Kumpel gesucht und zwei
großartige Menschen gefunden.
Ernst B. und seine Frau |
Ernst B. (78) in seiner Hauerkluft | Ein letztes Foto. Vor dem Bergarbeiterhäuschen |
Historisches Foto: Ernst B. als Bohrer am Steinbruch Bärenstein im Jahr 1957 |
Wie überall in Sachsen, so auch im Erzgebirge: Die aggressive Plakate-Pest der NPD | Lebhafter Austausch im
Büro der Linke in Annaberg |
Der Besuch bei dem pensionierten Wismuthauer Ernst B. und seiner Frau hat uns weiter
neugierig gemacht auf das Thema, so dass wir an den Folgetagen sowohl das Mundloch des
aufgelassenen Wismutstollens in Niederschlag, wo Ernst B. einst zugange gewesen
war, als auch das Wismutmuseum in Bad Schlema aufsuchen. Was der Bärensteiner
Kumpel aus einer ganz persönlichen Sicht lebendig zu erzählen vermocht
hatte, bei der Führung mit Herrn Meinel durch die Dauerausstellung des
Wismutmuseums erfuhren wir dann die "ganze" Geschichte der SDAG Wismut. Auch bei
Herrn Meinel spüren wir: Viele der einstigen Wismutleute stehen hinter ihrem
alten Betrieb und halten die Tradition hoch. So marschieren
Wismutkumpel in der alljährlichen Bergmannsparade zur Weihnachtszeit
gleichberechtigt mit, erzählt Meinel. Wer mit Bildern von "Kumpeltod" und
"Stalinpaket" im Kopf nach Bad Schlema kommt, der verlässt das Museum
sehr nachdenklich. Man begreift: Uran war ein strategisches Erz. Alberne
Anspielungen auf akzisefreie Brände wirken plötzlich abgeschmackt. Was ein "Stalinpaket" ist, haben wir erst in der Speisekarte eines
Restaurants erfahren...
Bad Schlema. Heilwasser gratis aus der Radonquelle | Annaberg-Buchholz, das
kulturelle Zentrum des Erzgebirges. Hier am Markt
|
Einfahrt ins Besucherberg Markus-Röhling-Stolln zu Frohnau (Annaberg) |
Endlich gefunden: Das
Mundloch des alten Wismutstollens in Niederschlag |
Im Markus-Röhling-Stolln. Hier wurde bis 1857 Silber und Kobalt abgebaut, nach dem 2. Weltkrieg dann Uran |
Es genügt uns aber nicht, in die
Schächte und Stolln einzufahren. Wie es dort wirklich war, als da noch unter
größter Mühsal Uran,
Silber und Kobalt abgebaut worden ist, kann man sich als Fremdling nur sehr
vage vorstellen. Auch das ist der Grund, warum wir mehr über Land und
Leute erfahren wollen. Wir müssen mit den Erzgebirglern selbst ins Gespräch
kommen. Also, auf ins Büro der Linkspartei in Annaberg, wo wir uns angemeldet
haben. Obwohl die Menschen dort uns vorher noch nie zu Gesicht bekommen haben,
ist der Empfang sehr herzlich. In mehr als zwei Stunden gewinnen wir einen
Eindruck von den Problemen in der Region, erfahren aber auch vom sozialen Leben
hier zu DDR-Zeiten und von der Umbruchzeit der politischen Wende. Ein großes
Dankeschön an Regina, Maria und die anderen. Und entschuldigt bitte dass wir in
der Hektik den versprochenen Kuchen vergessen haben!
Unsere Fotos vermitteln einen Eindruck davon, wo die einwöchige Tour uns noch
hingeführt hat: Ins Silberbergwerk in Annaberg, das erst Anfang der 90er Jahre
bei Schachtarbeiten für die Sparkasse wiederentdeckt worden ist; auf den Fichtelberg und von da
mit der Drahtseilbahn nach Oberwiesenthal; nach Bad Schlema und schließlich
nach Karlovy Vary. Unsere Bildungsfahrt fand in Dresden ihren Abschluss.
Unsere nächste Rundfahrt wird wir wahrscheinlich zu einigen Orten und Stätten Thüringens
führen.
Von dieser Stelle aus geht ein großer Dank an unsere tschechischen Freunde, die sich
so um unseren Aufenthalt in Prag und in Duchcov bemüht haben: an Hans Gaertner
(Prag), Milan Plzák (Neratovice) und Jaroslav Drbohlav (Duchcov). Ebenso sei dem Ehepaar Liesel und Herbert Schäfer für ihre
Gastfreundschaft und für die Übernachtungsmöglichkeit in der Gnauckmühle und
dem Gastwirt der "Bärensteiner Einkehr" für seine großartige
Vermittlungshilfe gedankt.
Glück auf!
René Senenko,
Sprecher der Gruppe Grenzlos
Silberschacht zu Annaberg. Diese engen Steigleitern haben manchen Unfall gesehen | Harald (vorn) und Markus im Silberbergwerk zu Annaberg. Dieser Schacht am Erzgebirgsmuseum wurde erst Ende des 20. Jh. wiederentdeckt | Oberwiesenthal: Ein Wiedersehen mit einer Trickfilmfigur, die in der DDR Kultstatus hatte: Arthur, dem Engel |
Grubenlampe am
Blendriemen. Vitrine im Wismutmuseum |
Unsere Reisegruppe auf
dem Fichtelberg. Raukalte Winde auf dem Gipfel... |
... und freundliches
Wetter im Tal. Oberwiesenthal: Schi-Pisten mit nostalgischer Zutat |
Karlovy Vary (Karlsbad). Heiße Thermalquellen, Fontänen und Kurbad | Karlsbad. 55 Grad
heißes Thermalwasser zum Kosten |
Das imposante Karl-Marx-Denkmal von Karel Kuneš (1920-1997) aus dem Jahr 1988. Marx weilte mehrmals zur Kur in Karlsbad |