Horní Chřibská,
3. September 2005
Jeanine Peyroutet findet das Grab ihres Vaters
Bericht von Brigitte Bamberg (Strasbourg, Frankreich)
Jeanine Peyroutet war mit einer Reisegruppe aus der Stadt Anglet
(in Frankreich, Partnerstadt der Stadt Ansbach in Bayern) in Ansbach zu Besuch.
Sie wohnte bei meiner Tante, die sich angeboten hat, ihr bei ihrer Reise nach
Chřibská zu
unterstützen. Wir sind schließlich zu viert gefahren, Madame Péroutet, Monika
Dostal, eine Bekannte meiner Tante, unsere Chauffeurin G. und ich.
Wie Sie wahrscheinlich wissen, waren wir am Samstag den 3. September gegen 14
Uhr mit Herrn Josef Navrátil, dem Oberbürgermeister von
Chřibská, am Gasthof Radnice
verabredet, wo wir rechtzeitig eingetroffen sind. Herr Navrátil hat uns dort
mit dem Bürgermeister und einem Herrn aus Prag, Herrn Rezak, der als
Dolmetscher vorgesehen war, begrüßt und bekannt gemacht.
Wir sind von dort zum Friedhof in Ober-Chřibská gefahren. Der Oberbürgermeister hat Jeanine Peyroutet innerhalb des Friedhofs geführt, auch an die Stelle wo heute die Gedenktafel liegt und wo ihr Vater und seine Kameraden begraben liegen. Das war sehr bewegend für sie und auch für uns. Sie hatte uns noch einmal am Abend zuvor die Geschichte ihres Vaters erzählt. Die Zeit war leider zu kurz und die Aufregung wahrscheinlich zu groß, als dass sie uns die Hintergründe der Festnahme ihres Vaters genauer erläutern konnte. | |||
Jeanine Peyroutet (3.v.r.) mit ihren Freundinnen, dem Bürgermeister und zwei seiner Mitarbeiter an der Gedenktafel auf dem Friedhof von Chřibská. Foto: Gerda |
Nach einer Denunziation wurde er in Südfrankreich mit anderen seiner Kameraden
festgenommen und in Bayonne inhaftiert. Später kam er nach Bordeaux, und wurde
schließlich nach Deutschland in das KZ Sachsenhausen deportiert, wo er in einem
Außenkommando eingesetzt wurde. Sein Kommando wurde dann, wenn ich es richtig
verstanden habe, nach Schwarzheide geschickt, von wo er am Todesmarsch nach Theresienstadt teilnehmen musste. Mehr Details könnten
wir von Frau Peyroutet bekommen.
Auf dem Weg, der ihn durch die verschiedenen Orte von Schwarzheide geführt hat,
gab es nichts oder kaum zu essen, aus diesem Grund entfernte sich René Gachy
von der Kolonne, um Löwenzahnblätter auszurupfen, aber ein deutscher SS-Mann
kam gestürmt und schlug ihm auf den Nacken, so das er hinfiel. Seine Kameraden
halfen ihm auf und versuchten ihn auf dem Weg zu stützen, bis sie selbst nicht
mehr die Kraft dazu hatten. Dann wurde er auf den Totenkarren gelegt, der am
Ende der Kolonne von weiteren Gefangenen gezogen wurde. Wie auch René Gachy kam ein anderer Gefangener, Jean Barbier, aus ähnlichen Gründen
ums Leben, weil er an einer Stelle etwas trinken wollte und sich vom Weg entfernte.
Nach den Erzählungen kam die Kolonne am 23. April in
Chřibská an
und übernachtete dort in einer Glashütte (die uns nachher Herr Navrátil auch
zeigte). In dieser Nacht soll es ein Vorfall gegeben haben (Mundraub von Brot),
wegen dem am nächsten Tag die Deutschen eine Zahl Gefangenen aussuchten, die
am Friedhof (hinter der Mauer, das heißt hinter der heutigen Tafel) eine Grube
ausgraben sollten. Diese Gefangenen wurden selbst exekutiert und in dieser Grube
begraben.
Später (nach Kriegsende) wurden die Überreste von der Stelle hinter der Mauer in den Friedhof verlegt und dort eine große Gedenktafel angebracht. Herr Navrátil erklärte alles Frau Peyroutet vor der Gedenktafel. Da der Name ihres Vaters falsch orthografiert worden war, war der Wunsch von Frau Peyroutet gewesen, eine Gedenktafel für ihren Vater anzubringen. Sie hatte eine anfertigen lassen und sie aus Anglet im Auto mitgebracht. Der Oberbürgermeister schlug vor, sie an der Mauer unter oder an der Seite der jetzigen Gedenktafel zu befestigen, und sagte ihr zu, sie könne ihm vertrauen, er würde dies nach ihren Wünschen veranlassen und ihr später ein Bild schicken. | |||
Diese Tafel ließ René Gachys Tochter anfertigen. Sie wird neben neben der bisherigen Gedenktafel angebracht. |
Gilbert Dupau (82), einst Mithäftling von René Gachy, half den Besuch in Chřibská vorzubereiten |
Frau Peyroutet bedankte sich lange bei Herrn Navrátil und den anderen Herren.
Ich glaube sie konnte es kaum fassen, dass sie diesen Ort, den sie so lange
gesucht hatte, endlich gefunden hatte. Der Ort, der ihrer Mutter damals als
Todesort mitgeteilt wurde, war falsch angegeben worden und deswegen auf der
Landkarte unauffindbar. Sie zweifelte, glaube ich, bis zuletzt, ob sie es bis
nach Chřibská schaffen
würde... Endlich war der Moment da, an dem sie ihren Vater fand.
Wir gedachten ihres Vaters und es gab ein Moment des Schweigens.
Danach sind wir gegangen. Wir haben uns die Stelle hinter der Mauer ansehen
wollen, wo auch eine kleine Tafel angebracht war. Frau Peyroutet lief im hohen
Gras und ihr Blick lag auf den saftigen Löwenzahnblumen, die überall wuchsen.
Das war das Paradoxe, diese Überfülle an Löwenzahn und das Schicksal eines
Einzelnen, das dadurch sein Ende fand.
Nach dem Friedhof zeigte uns Herr Navrátil den Weg zur Glashütte, wo die
Gefangenen in der Nacht (vom 23. zum 24. April 1945) vor der Exekution am
Friedhof übernachtet hatten. Es muss eine der ältesten Glasbetriebe in der
Gegend sein. Anschließend wurden wir vom Oberbürgermeister in einer Pension zu
einem Kaffee eingeladen, wo wir uns noch unterhalten haben. Frau Peyroutet bekam
eine Videokassette über den Ort geschenkt und wir alle kleine Broschüren und
einige Postkarten.
Wir waren sehr froh, Frau Peyroutet auf diesem Weg zu begleiten, und das, was
ihr anfangs unmöglich erschien, möglich zu machen. Ich denke, dass sie dadurch
Vertrauen gefasst hat und ihr die Erinnerung an die Vergangenheit etwas
erleichtert.
Ich will der Klarheit wegen noch hinzufügen, dass Frau Peyroutet über Herrn
Dupau die Einzelheiten über den Tod ihres Vaters erfahren hatte (unter anderem
die Tatsache, dass er sich von der Kolonne entfernt haben soll, um einen
Löwenzahn zu pflücken und dabei erschlagen wurde) und dass der
Oberbürgermeister von Chřibská
wiederum ihr die Umstände in Chřibská
erklären konnte (der Vorfall in der Glashütte, die
Exekution am Friedhof, usw).
Literatur
Die Gruppe Grenzlos verweist auf folgende Literatur, in der auch die Ereignisse
in
Horní Chřibská (Oberkreibitz) und der Tod von René
Gachy zur Sprache kommen:
Konferenzbericht "Dem Schweigen entrissen". Sebnitz 1980, S. 34ff. Jan
Welch, Mitglied von Dr. Heinz Senenkos Forschungsgruppe (AG Junge Historiker)
legt hier erstmals seine Forschungsresultate über die Geschehnisse in
Oberkreibitz 1945 vor. René Gachy wird hier noch als Paul Gauly geführt.
Laßt die Glut nicht verlöschen. Sebnitz 1984, S. 7 (chronologische Angaben)
und S. 15 (Zitate aus Gilbert Dupaus Bericht über die Ereignisse in Chřibská,
wo Dupau auch auf das Schicksal von Jean Barbier und Paul Gachy verweist.)
Stránský, Pavel: Als Boten der Opfer. Prag 2002, S. 48. Auch Pavel Stránský
erwähnt, wie begeistert einige Franzosen "vom Löwenzahnsalat als eine
Delikatesse sprachen".
Kral, Friedrich: Hungermarsch. Prag 2005, S. 27 und 64f. Kral erwähnt den Tod seines
Freundes Karl Teichner in Kreibitz und die Erschießung von 4 Mithäftlingen, die
Brot gestohlen haben sollen.
in französischer Sprache:
Dupau, Gilbert: Evacuation du camp de concentration du Schwarzheide. Marche de
la mort - 24 avril - 8 mai 1945. Mont de Marsan o.J. (2001), S. 7 und 12f