27. August 2006 
Nikolaj Chomenko verstorben



Nikolaj Chomenko mit Hund Alpik
vor seinem Haus in Salmov, 2005
Wenn man Nikolaj Chomenko vor seinem selbstgezimmerten Haus in den Kartoffeln buddeln sah, ließ nichts darauf schließen, dass der kleine drahtige Rentner in der schmutzigen Jacke ein weithin gefragter Zeitgenosse war. Sein Haus im tschechischen Salmov galt als Pilgerstätte. Mochte die abschüssige Zufahrt zu seinem Vorgarten verschlammt oder vereist sein, sommers wie winters parkten dort Autos von Gästen aus dem benachbarten Deutschland. Unter ihnen viele Sachsen aus dem Grenzgebiet, die sich mit ihm über Geschichte und Natur unserer Region austauschen wollten. „Nu jo“, so Nikolaj in seinem unverkennbarem Akzent, „viele Leute aus Deutschland kommen zu mir und wollen wissen, wie das hier friiher war!“ Auch in Sebnitz war er kein Unbekannter. 

1929 in Turnov/ Turnau geboren, erfuhr er sehr bald die Wechselfälle der Politik am eigenem Leib. Als Nikolaj zehn war, verkündete sein Lehrer eines Morgens: „Der Unterricht fällt aus, denn heute wird unser Land besetzt!“ Die Wehrmacht marschierte in seiner Heimatstadt ein. Da sein Vater Ukrainer war und seine tschechische Mutter als staatenlos galt, mussten sich die Eltern 2mal wöchentlich bei der Protektoratsbehörde melden. Nikolajs besten Freund und Mitschüler, Horst Haltig, Kind aus einer „Mischehe“, steckte man in ein Heim. Die Nazis wollten verhindern, dass der Junge mit seiner Mutter zuhause Tschechisch sprach. Gerade 15-jährig half Nikolaj durch seine Ortskenntnis den tschechischen Partisanen bei der Befreiung seiner Heimat. Nach dem Krieg ging Nikolaj als Forstpraktikant in den Schluckenauer Zipfel. „Hier waren die Wälder größer und schöner als in Mělník, wo ich vorher war.“ In den 60er Jahren war er an Aufforstungsprojekten in Ägypten beteiligt. Zurück in der Heimat betrieb der passionierte Katzenliebhaber und Bienenzüchter neben seinem Beruf als Förster auch lokalhistorische Studien. So hat er noch vor wenigen Jahren ein Vorhaben des Děčíner Museums unterstützt und die Kleindenkmäler seines Forstreviers erfassen helfen. Als wir ihn kennen lernten, war Nikolaj in seinem Beruf bereits pensioniert. Er beherrschte die Artennamen in Flora und Fauna nicht nur in Tschechisch und Latein, sondern zumeist auch in Deutsch und Sorbisch. Ja Sorbisch, denn mit der Kultur und Sprache der Sorben hat er sich bis zuletzt befasst.



Nikolaj (Mitte) mit Freunden der Gruppe Grenzlos auf der Burgruine Tolštejn, 2005
Chomenko gehörte zu jenen kritischen Geistern, deren Skepsis sich zuweilen in einem bissigen Humor entlädt. Wie oft hat er über die unsoziale Politik der tschechischen Regierung geschimpft, wenn sie wieder einmal eine von der deutschen Regierung getroffene politische oder soziale Maßnahme nachzuahmen suchte. Wie oft hat er sich über die allzu gepflegten und geraden Straßen in Deutschland mokiert. Und: „In Deutschland könnte ich nicht leben, da lauert an jeder Ecke ein Gesetz!“ Wenn zum wiederholten Male die jungen Redakteurinnen der tschechischen Lokalzeitungen einen Heimatartikel aus der Vertriebenenpresse ungeprüft in Tschechisch nachdruckten, dann stellte er in Leserbriefen klar, was er für falsch hielt. Oft brachte er dann den Brief persönlich in die „Kanzlei“. Da er kein Auto besaß und der Linienbus das abgelegene Salmov nicht gerade häufig ansteuert, dauerte eine solche Unternehmung den ganzen Tag. Als Verfasser von Artikelserien zur Lokalgeschichte in Tschechien war Nikolaj recht rege.

Kann man einen Menschen beschreiben, ohne dass er beim Leser voreilig in einer bestimmten Schublade landet? Einen Mann also, der - neben einigen Lastern und Schwächen - allerlei Talente zu entfalten wusste. Er war beileibe nicht nur Naturfreund und Freizeithistoriker, Imker, Ornithologe und Forstmann, er war auch ein unschlagbarer Biertrinker und Eigenbrötler, ein Hobbykeramiker und Rutengänger, ein Sammler alter Bauernmöbel, ein Gelegenheitsraucher und leidenschaftlicher Fernsehzuschauer, ein unermüdlicher Dolmetscher, ein Mitglied der sozialdemokratischen Partei seines Landes und der sächsischen VVN-BdA, er war Antifaschist und ... nach drei gescheiterten Ehen noch immer ein Verehrer des schönen Geschlechts. „Die tschechischen Mädels hier sind hübscher als die in Sebnitz, weil sich in Nordböhmen so viele Völker, die nach 1945 hier angesiedelt worden sind, vermischt haben!“ Kurzum: Chomenko war nicht bloß eine Institution, er hatte auch Geschmack! Er redete nicht von deutsch-tschechischer Verständigung. Er war sie in eigener Person. Er praktizierte sie auch deshalb so souverän, weil er durch seine Sprachkenntnisse die politische Entwicklung auf beiden Seiten der Grenze aufmerksam verfolgen konnte. 

„Ich lebe im Schluckenauer Zipfel schon sechzig Jahr’, und ich will auch in diesem Teil Böhmens sterben.“ Das klang aus seinem Munde im Vorjahr fast wie ein Credo. Es hat sich nach drei Herzoperationen schneller erfüllt als geplant. 77jährig ist Nikolaj am 27. August im Rumburker Krankenhaus gestorben. Dabei hatte er noch so viel vor gehabt. Er wird uns sehr fehlen.

Text und Fotos: René Senenko
PS: Ähnlichlautende Nachrufe des Autors auf Nikolaj Chomenko sind in der Sächsischen Zeitung, Ausgabe Sebnitz, vom 19.9.06 sowie in den "Deutsch-Tschechischen Nachrichten" (München) Nr. 74, 20.9.06, erschienen. Auch druckte die Nr. 4 (Dezember 2006) des "Antifa-Rundbriefes" der sächsischen VVN-BdA eine Information zu Nikolajs Tod (mit Bild) ab. 
Einen weiteren Nekrolog hat die November-Ausgabe "Der neue Prenanthes" (Freundeskreis Sebnitzer Naturerbe) veröffentlicht. 





Zu Weihnachten 2005


Nikolajs aushäusige Gefährten

   

Links: Nikolaj an der von seinem Vater - einem Keramikmeister - angefertigten
Prunkvase im Museum Turnov.
Rechts: Vor seinem Geburtshaus in Turnov; beide Bilder 2005



Nikolajs Anwesen
im Winter 2005/ 06