21. April 2007
Die
Sebnitzerin Dora Glaser (85) erzählt aus ihrem Leben
Dora Glaser zu Ostern 2007 beim Besuch der Gruppe Grenzlos vor ihrem Haus © Foto Senenko |
Dora
Glaser, eine rüstige 85jährige, lebt im einsam stehenden Haus eines
ehemaligen Gasthofes auf dem Hasenberg in Sebnitz. Die Waldluft hier und
die Abgeschiedenheit, die sie viele Jahrzehnte zwang, ihre Einkäufe und
Erledigungen zu Fuß zu bewältigen, müssen ihr gut getan haben.
Äußerst lebhaft serviert sie uns Kaffee und Kuchen, auskunftsfreudig
beantwortet sie alle Fragen. Man spürt, die Herausforderungen des Lebens
haben sie nicht kleingekriegt. Auch das Alter scheint nur eine der Hürden
zu sein, die das Leben so stellt. 1922 zur Welt gekommen und In einer Bauernfamilie in Rugiswalde zusammen mit fünf Geschwistern aufgewachsen, ging sie in ihrer Jugend - ab 1936 - bei einem Bäckermeister in Bischofswerda in Stellung. Die Woche über hatte sie da ein Zimmer, aber am Wochenende fuhr sie die weite Strecke nach Hause mit dem Fahrrad. Damals war das normal. Die Familie verdiente sich - neben der Landwirtschaft - durch die Heimarbeit ein Zubrot. Besonders nach dem Krieg, als Kunstblumen wieder gefragt waren. Bis 1960 "blümelten" sie (banden oder montierten künstliche Blumen). Später verarbeiteten sie Miniaturschienen für die Sebnitzer Modelleisenbahnfirma Pilz. Dora G. kann sich noch heute an die Geräusche der kleinen Maschine oder Stanze erinnern, die jahrelang in der Wohnung stand. Dora war nebenher auch Mitglied der örtlichen Feuerwehr. Sie war da keineswegs die einzige Frau. Sie zeigt uns eine der Gruppenaufnahmen der Rugiswalder Feuerwehr, auf dem sie als junges Mädchen zu sehen ist. Wir erkundigen uns nach ihren Eindrücken und Erlebnissen vom Kriegsende in Rugiswalde. Die Stimmung, so Dora Glaser, wandelte sich, je näher die Front kam. Die Zwangsarbeiterinnen - an zwei Russinnen im Dorf kann sie sich erinnern - wurden selbstbewusster. Daran spürte man, dass sich einiges tat. Im April 1945 hatte sie zusammen mit einer ihrer Schwestern ein Erlebnis, das sie zeitlebens nicht vergessen wird. Es muss der 21. April gewesen, so rekonstruieren wir. Entgegen ihrer Gewohnheit, auf ihren Einkaufsweg nach Neustadt den gewohnten Feldweg zu nehmen, liefen sie an diesem Tag auf der Straße nach Neustadt. Busse fuhren in dieser Zeit selten oder gar nicht. In der Kurve hinter dem Unger, wo links ein Waldweg nach Krumhermsdorf abgeht, kam ihnen eine lang gestreckte Kolonne von merkwürdig klappernden, abgezehrten Menschengestalten entgegen. Häftlinge! Die beiden Schwestern, verängstigt und scheu, versuchten rasch an diesem unheimlichen Zug vorbeizukommen. Aber er schien kein Ende zu nehmen. SS-Leute in Unform machten ihr noch mehr Angst. Sie trauten sich nicht einmal aufzusehen. Und so interpretiert Dora Glasern das Klappern der Holzpantinen, das sie vernommen hatte, als Gerassel von den Ketten, die die KZ-Häftlinge der Todeskolonne aus Schwarzheide - denn um diese handelte es sich - an den Füßen getragen hätten. Dieses Geräusch klingt ihr noch heute in den Ohren. Einen Schuss haben sie noch gehört, erzählt sie, bevor der Zug aus ihrem Blickfeld entschwunden sei. Einige Tage später, die Front rückte näher, entschloss sich die Familie zur Flucht. Aber schon am Abend kehrten sie zurück. Am Tag der Kapitulation, am 8. Mai, schnürten noch einmal ihre Bündel und flohen über die nahe Grenze. Über vierzehn Tage irrten sie, zumeist auf der tschechischen Seite der Grenze (damals Sudetengau), ziellos und unsicher durch die Gegend, nächtigten auf Bauerngütern oder im Wald und kehrten dann nach Rugiswalde zurück. Wenn auch der Krieg vorbei war, viele Fälle von Selbstjustiz, vom allzuraschen Gesinnungswandel zwielichtiger Mitmenschen und vom Tod Schuldiger und Unschuldiger sind ihr im Gedächtnis haften geblieben. René Senenko |