Bericht und Fotos von Dr. Dieter Rostowski (2.5.2005)

Gedenken in Kamenz
- Epilog zum 60. Jahrestag der Todesmärsche


Am 18./19. April 2005 weilte eine tschechische Delegation ehemaliger KZ-Häftlinge mit Angehörigen zu Besuch im ostsächsischen Gebiet. Es fanden Begegnungen mit ihnen anlässlich des 60. Jahrestages der Todesmärsche statt. Sie alle waren Teilnehmer des Todesmarsches, der vom KZ-Außenlager Schwarzheide nach Theresienstadt führte. An Gedenk- bzw. Erinnerungstafeln in Sebnitz, Schwarzheide, Kamenz und Saupsdorf wurden solche Treffen mit der Öffentlichkeit durchgeführt. Dem gesamten Anliegen liegt das Projekt „Spurensuche 1945“ im 60. Jahr der Befreiung zugrunde. Das Anliegen bestand darin, die Schüler oberer Klassen der Mittelschulen und Gymnasien des Kreises Kamenz an diesem Projekt zu beteiligen. Die Schüler erforschten für die Schlussphase des Zweiten Weltkrieges, welche KZ-Außenlager, Todesmärsche und sonstige Kriegsereignisse in ihrem Heimatort bzw. der Umgebung erwähnenswert sind. Dazu waren Zeitzeugen zu befragen und historisches Material auszuwerten. Die Ergebnisse sollten in Forschungsmappen und auf Schautafeln erfasst bzw. dargestellt werden. Höhepunkt und Abschluss des Projektes waren die den Schülern angekündigten Begegnungen mit ehemaligen KZ-Häftlingen.

an der Gedenktafel in der Hoyerswerdaer Straße in Kamenz

Vor der Gedenktafel an der Hoyerswerdaer Straße in Kamenz:
die tschechischen Gäste mit dem Kamenzer Bürgermeister
(links, hintere Reihe)
Erinnern am 19. April 2005  

Ein solches einmaliges und emotional hoch zu bewertendes Ereignis war das Erinnern am 19. April 2005 an der Gedenktafel in Kamenz (Hoyerswerdaer Straße). Zu dieser Veranstaltung hatten wir an dieser Stelle noch nie eine solche Beteiligung von über 100 Teilnehmern, darunter viele Jugendliche. Sehr erfreulich war, dass auch die 80-jährige Johanna Bergmann, Witwe des 1979 verstorbenen Königsbrücker Kommunisten Paul Bergmann, der 1945 den Todesmarsch überlebte, anwesend war. Nachdem die tschechische Delegation eingetroffen war, gab es zunächst mit ihr einen Fototermin mit dem Kamenzer Bürgermeister Herrn Roland Dantz an der Tafel. Danach richtete der Bürgermeister gedenkende Worte des Erinnerns an die Häftlinge und verurteilte die Verbrechen durch das faschistische Regime auch hier in Kamenz. Im Anschluss daran wurden die hier in Kamenz umgebrachten KZ-Häftlinge im KZ-Außenlager Herrental und auf den Todesmärschen namentlich vorgetragen. Die jungen Leute und andere Bürger stellten zugleich für jeden Aufgerufenen auf der Konsole der Gedenkstätte eine entzündete Kerze ab. Danach wurden Blumen und Gebinde zu Ehren der von der SS ermordeten Häftlinge niedergelegt.

Nun ergriff Herr Dr. Hans Gärtner (79 Jahre), ehemaliger KZ-Häftling und Teilnehmer am Todesmarsch, das Wort. Er hielt eine sehr emotional wirksame freie Rede. Immerhin überlebte er mit etwa 300 von 600 Häftlingen den Todesmarsch. Ihm folgte in freier Rede der ehemalige Häftling Jacob Tsur, ein aus Israel angereister Historiker: „Ihr seid nicht verantwortlich für die Taten eurer Großeltern. Eine Tat kann man nicht vererben, aber man kann und man muss aus der Geschichte lernen“, waren seine Worte.


Empfang beim Kamenzer Bürgermeister  

Später im Kamenzer Rathaus, beim Empfang durch unseren Bürgermeister, berichteten die Schuldelegationen vor den tschechischen Gästen über Ihre Forschungsergebnisse im Projekt „Spurensuche 1945“. Sie übergaben dem Bürgermeister und dem Projektleiter große Schautafeln. Nachdem sich der Bürgermeister bei allen beteiligten Schulen bedankt hatte, ergriff Herr Pavel Stransky (84 J., ehemaliger KZ-Häftling) das Wort. Er hob die Bedeutung solcher Geschichtsforschungen für das Heute und Morgen hervor und dankte in herzlichen Worten den „Jungen Historikern“ für ihre fleißige Arbeit bei der „Spurensuche“. Ein abschließender Höhepunkt war, dass der Bürgermeister alle tschechischen Gäste bat, sich in das Goldene Buch der Stadt Kamenz einzutragen. Er überreichte ihnen zur Erinnerung an ihren Aufenthalt hier das Buch der Stadt Kamenz, das im Jahr 2000 anlässlich der 775-Jahr-Feier herausgegeben wurde, worin das Foto mit ihm und den Gästen an der Gedenkstätte vom Vormittag eingelegt war. Alle Beschenkten waren sichtlich berührt und zutiefst erfreut über diese Geste der Lessingstadt Kamenz.

Pavel Stranský beim Eintrag ins Goldene Buch der Stadt Kamenz

Pavel Stranský trägt sich ins Goldene Buch der Stadt Kamenz ein.
Im Hintergrund die von Kamenzer Schülern erstellten Tafeln.


Vortragsreise von Pavel Stransky

Gerade er war es dann auch, der in sechs Schulen des Kreises vor Schülern, Lehrern sowie anwesenden Bürgermeistern, aber auch vor der Kamenzer Jungen Gemeinde in emotional bewegenden Vorträgen seine „Häftlingsgeschichte, die zugleich eine Liebesgeschichte war“ sehr erfolgreich darbot. Viele Fragen der jungen Leute und Gäste musste er beantworten: Wo haben Sie so gut Deutsch gelernt? Wie fühlen Sie sich jetzt, wenn Sie nach Deutschland kommen? Welche Folter bzw. Qualen mussten Sie ertragen? Warum sind Sie nicht nach Israel emigriert? Haben Sie Solidarität im KZ oder auf dem Todesmarsch erfahren? Wie denken Sie über die Neonazis? Was war Ihr schlimmstes Erlebnis? Haben Sie Hitler gesehen? Hatten Sie versucht aus dem KZ zu flüchten? Welche Erlebnisse und Erinnerungen können Sie über die Zeit nach dem Krieg berichten? Wie sind jetzt ihre Gedanken, wenn Sie nach Auschwitz oder Theresienstadt fahren? usw. Es gibt sehr erfreuliche Rückkoppelungen aus Schulen, von Schülern und Lehrern, dass noch Tage nach dem Auftreten des Herrn Stransky das von ihm Erfahrene aufgeschlossen erörtert wurde. Seine sichtlich bewegende Häftlingsgeschichte und sein Überleben haben deutliche Spuren des Erinnerns hinterlassen. Er half tatkräftig mit, die Brücken zwischen dem tschechischen und deutschen Volk im Sinne der Verständigung und Versöhnung weiter erfolgreich zu bauen.


Und wie soll es weitergehen?

Im neuen Schuljahr werden die Schautafeln in einer „Wanderausstellung“ an allen Schulen gezeigt. Somit gibt es nicht nur eine interessante Auswertung erreichter Forschungsergebnisse, sondern es werden neue Impulse für die weitere Tätigkeit „Junger Historiker“ geschaffen. Außerdem wird eine Broschüre über die wesentlichen Inhalte der Forschungen erstellt und allen Schulen für die Unterrichtsarbeit zur Heimat- und Regionalgeschichte übergeben.