Bildbericht (23.4.2006)
Im
schönen Khaatal ...

Am 23. April 2006, genau 61 Jahre nach dem Tod von acht Häftlingen im Khaatal, die vom KZ Schwarzheide aus in Richtung Theresienstadt über die Grenze ins Sudetenland getrieben, durch Hunger, Erschöpfung und Krankheit liegen geblieben sind und daraufhin durch die Schüsse der SS-Bewacher zu Tode kamen, haben mehr als 120 Menschen der Einweihung eines neues Gedenksteins für diese acht Männer beigewohnt. Der Stein unweit des heutigen Grenzübergangs Khaatal / Kyjovské údolí zwischen Kyjov (CZ) und Hinterhermsdorf tritt an die Stelle der bisherigen Holztafel, die nach Kriegsende auf tschechischer Seite aufgestellt worden war. Sie war in den letzten Jahren mehrfach beschädigt worden und musste vom Tschechischen Touristenklub immer wieder repariert werden. Die Anregung zur Ersetzung der Holztafel ging im vorigen Jahr von der Gruppe Grenzlos aus. Die Gruppe hatte sowohl den Bürgermeister von Krásná Lípa (Schönlinde) als auch an den Prager Verband der Schwarzheide-Überlebenden angeschrieben. Nebenbei regte sie die Korrektur eines falsch geschriebenen Namens eines der Opfer an (statt Ervin Teichner muss es Karel Teichner heißen). Der Prager Verein nahm sich der Sache an und brachte zusammen mit dem Rathaus von Krásná Lípa binnen eines halben Jahres die Schaffung eines neuen Steins auf den Weg. Am 23. April 2006 war es soweit. Der Frühling im reizvollen Khaatal zeigte sich von seiner freundlichsten Seite. Deshalb waren an diesem Tag auch viele Wanderer unterwegs, die das Geschehen auf dem felsgesäumten Talweg verfolgten. Die Lieder eines Schülerchors, die Ansprachen der aus Nah und Fern angereisten Gäste, die Worte eines tschechischen Priesters und schließlich das Kaddisch von Oberrabbiner Sidon gaben dem Ereignis einen würdigen, ja festlichen Rahmen. 

Der Stein ist neben dem tschechischem Text, den Namen und den Darstellungen des Davidsterns, des 7-armigen Chanukkaleuchters sowie der Todesmarschroute noch mit fünf hebräischen Buchstaben versehen, die im unteren Bereich der Stele zu sehen sind: ein Akronym, das "Möge seine/ ihre Seele eingebunden sein in das Bündel des ewigen Lebens” (1. Samuel 25,29) bedeutet und traditionell auf vielen jüdischen Grabsteinen zu finden ist. Der tschechische Text heißt übersetzt:  

Den Opfern des Nazismus gewidmet / An der Schwelle zur Freiheit kamen hier von verbrecherischer Hand der SS-Wachen auf dem Todesmarsch vom KZ Schwarzheide (Nebenlager von Sachsenhausen) die damaligen Häftlinge zu Tode:

Kurt Altschul, geb. am 31.5.1918 in Prag
Herbert Altschul, geb. 26.4.1924 in Prag
Pavel Fischer, geb. 31.10.1902 in Havlíčkův Brod

Bedřich Kaufmann, geb. 25.11.1911 in Prag
Vilém Slatin, geb. 16.10.1921 in Prag
Karel Teichner, geb. 16.12.1910 in Česká Skalice

Häftling Maciejski aus Polen
Unbekannter Häftling aus Frankreich

Bilder von der Stein-Einweihung am 23. April 2006 unweit des Grenzübergangs Kyjovské údolí / Khaatal:

Jiří Franěk und Hans Gaertner (Foto) verlesen in Tschechisch und Deutsch einen Redebeitrag des Prager Verbandes der Schwarzheide-Überlebenden 

Die Enthüllung des neuen Mahnmals. Links davon die alte Tafel Die Namen der auf dem Stein verzeichneten acht Opfer sind oben im Text wiedergegeben
Aus Prag angereiste Kameraden der acht Toten. Sie wurden vor 61 Jahren von der SS durch das Khaatal getrieben Etwa 120 bis 150 Menschen drängten sich auf den Hängen 
und entlang des Wanderwegs, um der Einweihung 
beizuwohnen

Leider wissen wir über die im Khaatal ermordeten Männer nur die Namen und Geburtsdaten. Doch hat ein Überlebender der Todeskolonne, Friedrich Kral, nach dem Krieg seine Erinnerungen an die Haftjahre aufgeschrieben. Sie sind im Jahr 2005 vom Prager Verband der Schwarzheide-Überlebenden unter dem Titel "Hungermarsch" herausgegeben worden. Deshalb können wir von einem der im Khaatal Umgekommenen die letzten Lebensjahre in wenigen Strichen nachzeichnen. Sein Name ist Karel Teichner, geboren 1910 in Česká Skalice. Er war ein wahrscheinlich Tschechisch sprechender, čsl. Bürger jüdischer Herkunft, der nach der Besetzung der Tschechoslowakei durch die Nazis rassisch verfolgt wurde. Kral lernte Karel Teichner bereits 1942 im Arbeitslager der Škoda-Werke in Königgrätz / Hradec Králové kennen, wo sie beide unter Gestapoaufsicht für die deutsche Kriegsproduktion Zwangsarbeit verrichten mussten. Die beiden wurden Freunde. Gemeinsam gingen sie den Leidensweg durch drei Konzentrationslager: Theresienstadt, Auschwitz und Schwarzheide. "Wir teilten Leid und Freud seit Königgrätz und doch war ihm [Karel Teichner] trotz tapferem Ausharrens die Heimkehr nicht vergönnt. Sein Lebenslicht erlosch kurz vor Kriegsende am 23. 4. 1945", schrieb Kral in seinem Bericht über den acht Jahre jüngeren Freund. Wir müssen annehmen, dass auch Karel Teichner, von Hunger, Krankheit und Entkräftung gezeichnet, im Häftlingszug nicht mehr Schritt halten konnte, zusammenbrach, am Wegesrand zurückgelassen werden musste und dort von der SS erschossen wurde. "In den meisten Fällen fand ich meine Kameraden erschossen im Straßengraben auf. Die noch Lebenden wurden auf dem Wagen [gemeint ist der "Todeskarren" für Gehunfähige] beschossen oder einfach vom Wagen heruntergerissen und zusammengeknallt. Ich mußte die Gräber schaufeln und die Ermordeten beerdigen." So die Zeugenaussage von Heinrich Roeder, dem Sanitäter des Häftlingszugs, aus dem Jahr 1947. Roeder machte in jedem dieser Fälle unerlaubt Notizen, so dass nach dem Krieg die meisten Opfer dieser Todeskolonne identifiziert werden konnten. 
Eine andere als diese "normale" Todesursache im Falle Teichners hätte Kral in seinen Aufzeichnungen sicher erwähnt. Leider gibt es kein Foto von Karel Teichner oder von einem weiteren hier verscharrten Opfer.

Kein anderes, einigermaßen zeitnahes Dokument könnte die damalige gespenstige Szenerie im Khaatal eindrucksvoller illustrieren als das Aquarell rechts, das der Mithäftling Teichners, Alfred Kantor, nach dem Krieg in seinem tagebuchartigen Malbuch für ebenjenen 23. April 1945 geschaffen hat. Kantor malte die Aquarelle nach seinen heimlich während Haft und Todesmarsch angefertigten Skizzen. Das Bild zum 23. April zeigt eine auf den ersten Blick idyllische Naturszene aus der Sandsteinwelt der Sächsisch-Böhmischen Schweiz. Wenn es da nicht die Häftlingskolonne gäbe, die sich durch das Bild zieht... 
Bildquelle: Alfred Kantor: Das Buch des Alfred Kantor (1971), deutsche Ausgabe Wien 1972, Tafel 116.




  Heutige Ansicht


Noch ein Wort zu Heinrich Roeder. Der aus Köln stammende, 1899 geborene Sanitäter war selbst KZ-Häftling. Wie sein Mitgefangener Jaroslav Kafka Anfang der 80er Jahre gegenüber den "Jungen Historikern" zu Protokoll gab, benahm sich Roeder gegenüber seinen Kameraden zuweilen grob, wenn die SS zugegen war. So verstand er es, seine Bewacher zu täuschen. War er mit den Häftlingen allein, zeigte er sich äußerst solidarisch, ja vollbrachte manches medizinische Wunder, um seine Kameraden am Leben zu erhalten. So konnte Kafka durch die Umsicht des "Sani" von einer schweren Diphterie genesen. Während des Marschs trug Roeder die Häftlingsnummern und Namen der Toten in einen Taschenkalender ein, den er stets - unter seinem Oberarmverband verborgen - mit sich führte. Wir geben hier vollständig die Notizen Roeders zu den Toten im Khaatal wieder (vgl. auch das Repro aus Roeders Kalender, der entweder aus dem Jahr 1941 oder 1947 stammt. In letzterem Fall hat er nach dem Krieg seine Aufzeichnungen in den Kalender umgetragen):
23.4.45 
Khaa Thal Waldschneise re.[chts] v.d.Straße (Mühle)
85343 Fischer Paul
114137 Matejski
85956 Slatin Wilhelm
118705 --
85180 Altschul Herbert
86070 Teichner
85587 Kaufmann Friedrich
85878 Altschul Kurt
--
Das Repro links ist entnommen dem Konferenzbericht "Dem Schweigen entrissen" (Sebnitz 1980), S. 33
 

Text und Fotos: René Senenko