Kommentar von René Senenko (29.4.2005, ergänzt und überarbeitet im Mai 2005)
Gedenken in Sebnitz - fest im Griff von Kirche
und Landrat
Drei Veranstaltungen standen auf dem Programm des heutigen
Tages: Der "Pilgerweg der Jugend" mit der anschließenden Tafelweihe
bei Rugiswalde, die Kundgebung auf dem Sebnitzer Marktplatz und der Gottesdienst
in der ev.-luth. Peter-Pauls-Kirche zu Sebnitz. Ein wirklich nützlicher Tag
für die Schüler, die in die Tafeleinweihung und in die Kundgebung auf dem
Sebnitzer Marktplatz aktiv einbezogen waren. Sogar Johannes R. Becher ließen
sie zu Wort kommen. Wenn auch nur 300 Leute zur Kundgebung kamen, man spürte,
Sebnitz macht was. Nur genauer hinhören und hinsehen durfte man dabei nicht.
Ich fragte mich nämlich des öfteren: Was haben sich die Initiatoren der heutigen drei
Gedenkveranstaltungen nur gedacht?
Vor der Enthüllung des erneuerten Gedenksteines bei Rugiswalde Foto D. Näser |
Man spürte an allen Ecken und Enden das Bemühen der Organisatoren, von vornherein die PDS aus den Veranstaltungen herauszuhalten und dafür um so mehr Schäfchen in die Kirche zu leiten. Das ist den Veranstaltern gelungen. Unbestritten ist, das sei hier ausdrücklich hervorgehoben, dass einige Beiträge äußerst gelungen und eindrucksvoll waren. Aber wer bei allen drei Veranstaltungen das Zepter schwang, war von Beginn an klargestellt. "Man wollte dieses Mal die Parteien heraushalten", meinten die Organisatoren auf unsere Kritik. Als ob die Kirche bar jeglicher Interessen wäre. Heraus kam denn auch eine ganz und gar nicht unparteiische Angelegenheit. Schon die Namenswahl der ersten Veranstaltung sprach für sich: "Pilgerweg der Jugend". Moderiert hat die mehr als 2stündige Kundgebung auf dem Marktplatz der Superintendent des evangelischen Kirchenbezirks Pirna, Herr Kaden. Und anschließend ging es gleich zum Gottesdienst in die Kirche, die überfüllt gewesen sein soll. Die auf dem Sebnitzer Marktplatz verabschiedete "Sebnitzer Erklärung" ist nicht etwa das Resultat einer öffentlichen Diskussion oder eines demokratischen Gremiums, sondern kommt aus den Reihen der Kirche, was sie jedoch auf der Druckfassung der Erklärung scheut anzuführen. Warum? Weil sie dann als einziger Aufrufer dastünde. Und das ist bei einem solch allgemeinen politischen Aufruf, wie es die "Sebnitzer Erklärung" darstellt, völlig unüblich, - zumal die Aufrufer auch von den nichtchristlichen Kundgebungsteilnehmern und Mitmenschen die Unterschrift erbitten. |
In allen Verlautbarungen war man sehr
darauf bedacht, die Schöpfer der Gedenktafeln, um die es heute immer wieder
ging, also Dr. Heinz Senenko, seine AG Junge Historiker und die Gruppe
Spurensucher, mit keinem Wort zu erwähnen. Das zeugt von innerer Größe! Da
das neue Verschweigen aber geübt sein will, blieben peinliche Momente nicht
aus: "Die Tafeln zum Todesmarsch", so entfuhr es dem Bürgermeister
der Hohwald-Gemeinde, Manfred Elsner (FDP), bei der Tafelweihe
unweit Rugiswalde, seien "vor ein paar
Jahren" aufgestellt worden... Sei's drum. Ich sage mir: Immer noch besser
so,
als wenn diese Herrschaften vor Gräbern von Kriegshelden salutieren, wie es
seinerzeit Kanzler Kohl in Bitburg getan hat.
Aber nicht nur Kohl, sondern auch unsere
hiesigen Funktionsträger verirren sich hin und wieder in die Begriffswelt der
"Volksgemeinschaft". Sie können sie weder ablegen noch verleugnen. In
der "Sebnitzer Erklärung", die ich in seinem humanistischen Kern
unbedingt unterstütze, sprechen sie immer noch von "unseren früheren
Kriegsgegnern". Für nichtchauvinistische Hitlergegner, für Antifaschisten und all jene, die nach
1945 bereit waren hinzuzulernen, gab und gibt es keine "früheren
Kriegsgegner". Es gab nur einen Gegner: Das NS-Regime. Deshalb müssen wir
Antifaschisten uns auch nicht "versöhnen" mit anderen Völkern.
Deutsche, sudetendeutsche und tschechische Nazigegner kämpften gemeinsam gegen
Hitler. Diese Tradition hat offenbar in den Köpfen der Initiatoren der heutigen
Veranstaltungen nie Wurzeln geschlagen. Deren Perspektive auf die Vergangenheit
ist immer noch national. Das hat seinen guten Grund. Wer national denkt, muss
von Klassen und sozialen Problemen nicht sprechen. Zwar mahnt OB Ruckh in
seiner Postwurfsendung vom 26. April an alle Sebnitzer Haushalte, "unseren
Blick auch auf das Heute (zu) schärfen". Angesichts der allerorts
präsenten Neonazis (auch bei der Kundgebung), angesichts der großen sozialen Probleme und der neuen
Kriege klingt diese
Botschaft aber irgendwie dünnwandig.
"Versöhnung"! Eine der am meisten missbrauchten unscharfen
Floskeln unserer herrschenden Politik. Im Vorfeld politischer Weichenstellungen
soll die "Versöhnung" Signale zu setzen, was meist in Gottesdiensten
geschieht. Wer aber soll sich mit wem versöhnen? Wer Versöhnung einmahnt,
setzt das Vergeben der Opfer voraus. Natürlich wird niemand ernsthaft daran
glauben, dass sich die Opfer mit ihren Tätern und Henkern gemein machen. Die in
der alten Bundesrepublik auf den Sanktnimmerleinstag verschleppte Sühne hat es nie
gegeben, bestenfalls ganz allgemein und symbolisch wie durch Bundeskanzler
Williy Brandt. Die
Siegermächte haben eine kurze Zeit lang Recht gesprochen. Aber kaum war die BRD
einigermaßen souverän, hörten die Ermittlungen gegen die Nazitäter auf und
letztere rückten wieder in höchste Stellungen auf. Wären die Kriegsverbrecher
und SS-Mörder konsequent vor Gericht gestellt worden, wären die
Kriegsgewinnler enteignet worden, dann hätte es gute Voraussetzungen für eine
Versöhnung gegeben. Das jedoch hat man jedoch nur im Osten Deutschlands
einigermaßen praktiziert.
In Wahrheit geht es den "Versöhnlern" um etwas anders: Sie
appellieren gewissermaßen von Nation zu Nation: Lasst uns nicht weiter die
gegenseitigen Untaten aufrechnen. Wir vergeben euch die Sünden bei der
Vertreibung, Ihr uns die Sünden des Naziregimes.
Deshalb schreibt der Sebnitzer
Oberbürgermeister in seiner Postwurfsendung auch vom "Unrecht der
Vertreibung", deshalb sprechen unsere Offiziellen vom
"Kriegsende", deshalb rückt man das Leid der Vertriebenen und der
Flüchtlinge so in den Vordergrund. Weshalb hebt Herr Ruckh dieses eine Unrecht,
das der Vertreibung also, so aus dem ganzen mörderischen Kriegsgeschehen und der Nachkriegsentwicklung
heraus? Vergessen hat er
offenbar, dass die Vertreibung das Recht der Siegermächte war. Gewiss, die
Vertreibung war eine ökonomische Dummheit, eine
kollektive Bestrafung auch, eine ethnisch orientierte Säuberung. Vor allem aber war sie eine Reaktion der Alliierten
auf das von den Henleinfaschisten und den Nazis begangene Unrecht. Bevor wir
voreilig von "Unrecht" sprechen, sollten wir nicht vergessen, wie viel
gegenseitiger Hass sich aufgestaut hatte. Erwähnt sei an dieser Stelle,
dass nicht einmal die CSU in ihrem Programm vom "Unrecht der
Vertreibung" spricht, sondern vom "Unrecht in Zusammenhang mit der
Vertreibung". Sie stellt also den Akt der Umsiedlung selbst nicht in
Frage.
So schwammig die Formulierungen, so oberflächlich das Geschichtsbild. OB Ruckh
pflegt in seinen Stellungnahmen eine recht schlichte CDU-Propaganda. In seiner
erwähnten Postwurfsendung heißt es ganz pauschal und undifferenziert: "Erst mit dem Fall der Mauer und der
friedlichen Wiedervereinigung wurden Freiheit und Demokratie in ganz Deutschland
Realität." Man fragt sich unwillkürlich: Glaubt der Mann da
selber an seine Losungen?
Erwähnen möchte ich aber auch das Positive, das Ermutigende: Pfarrer Rasch hat
mit seinem erfolgreichen Schulprojekt zum Nationalsozialismus Maßstäbe
gesetzt. Erste Ideen und Initiativen gingen von ihm aus. Ohne sein Engagement,
ohne seine Vorarbeit hätte der Landrat die Sebnitzer Veranstaltungen nie zur
zentralen Gedenkveranstaltung des Landkreises erhoben. Bevor am 29.4. die
Schüler von der Mittelschule Sebnitz zum "Pilgerpfad" aufbrachen,
verlas er persönliche Erinnerungen und Briefe von Häftlingen der Todeskolonne.
Pfarrer Raschs Engagement schätzen wir hoch. Die Vorbereitung eines nächsten
Gedenktages sollte bei seinen Erfahrungen ansetzen. Damit wir Spurensucher ein
nächstes Mal nicht wieder außen vor bleiben, bleibt unsere Kritik an der
Vorbereitung und Durchführung des Gedenktages dennoch unmissverständlich: Die
Veranstalter haben uns Spurensucher in Vorbereitung des 29. April
sowie bei dem Empfang der KZ-Überlebenden benutzt, Material aus unserem Archiv
bekommen, Zusammenarbeit gesucht und sich mit
unseren Gästen aus Prag und mit unserem Lehrpfad geschmückt. Im Gegenzug zu unserer Unterstützung haben
sie uns öffentlich völlig ausgeblendet und verschwiegen. Kein Wort
des Dankes, kein Wort über die Urheber der Todesmarsch-Tafeln. Nichts. Niemand von den
Spurensuchern oder von der VVN oder PDS wurde in die Gestaltung des Programms
einbezogen. Für uns Spurensucher
kann es demzufolge nur eine Schlussfolgerung für das nächste Mal geben: Eine von
vornherein gleichberechtigte Zusammenarbeit!