Nachbarland-Seite der Sächsischen Zeitung, Ausgabe Sebnitz und Ausgabe Pirna
vom 17./18. März 2007 sowie Ausgabe Dippoldiswalde vom 19. März 2007:
Schwieriges Vortasten über die Grenze
Von Anneke Hudalla
Sebnitz. Die Historiker von „Grenzlos“ würden
gerne intensiver mit tschechischen Partnern zusammenarbeiten.
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"Besonders solidarisch war der Brief leider nicht.“ René Senenko ist ein bisschen enttäuscht. Ganz so knapp hätte die Antwort der Bürgermeisterin von Ceska Lipa (Böhmisch Leipa) vielleicht doch nicht ausfallen müssen. Immerhin betraf der Brief, den Senenko als Sprecher der Sebnitzer Historiker-Gruppe „Grenzlos“ Anfang Februar nach Ceska Lipa geschickt hatte, nicht irgendeine Banalität, sondern eine ziemlich ernste Angelegenheit: „Die Gedenkstätte, die die Stadt Ceska Lipa erst im Mai 2004 als Erinnerung an den Todesmarsch aus dem Nazi-KZ Schwarzheide ins Ghetto Theresienstadt erneuert hat, ist geschändet worden“, sagt René Senenko. „Der oder die Täter haben sämtliche Bronzeteile von den Steintafeln an der Gedenkstätte gestohlen.“ |
Zwar geht die Polizei davon aus,
dass die Tat keinen politisichen Hintergrund hat. Dass „Grenzlos“ zu dem
Vorfall nicht schweigen konnte, verstand sich trotzdem von selbst. Die Mitglieder des Vereins bemühen sich nicht nur seit vielen Jahren um eine
Dokumentation des Todesmarsches vom April 1945. Sie hatten auch an der
Einweihung der neuen Gedenkstätte in Ceska Lipa teilgenommen. Dass der Brief
der Bürgermeisterin nun gar so kurz gehalten ist, stellt für Senenko zwar eine
Enttäuschung, aber keine allzu große Überraschung dar. „Die Zusammenarbeit
mit der tschechischen Seite ist nicht ganz einfach“, sagt er. Dabei würden
die Historiker von „Grenzlos“ eigentlich sehr gerne mit gleichgesinnten
Tschechen kooperieren.
Das Tabu ist gebrochen
„Bisher arbeiten wir in der CR eigentlich nur mit dem Verband der ehemaligen
Gefangenen des Konzentrationslagers Schwarzheide zusammen“, sagt René Senenko.
Und das ist keineswegs ein Zufall. Der Todesmarsch war einst der Grund, warum
René Senenkos Vater Ende der 1970er Jahre in Sebnitz einen Verein für
Regionalgeschichte gründete.
„Diese sogenannte AG Junge Historiker wollte vor allem das große Tabu
brechen, mit dem der Todesmarsch in der Sächsischen Schweiz damals noch immer
belegt war“, sagt Rene Senenko. Und das ist den Mitgliedern des Vereins ohne
Zweifel gelungen. Schon in den 1980er Jahren wurden nicht nur mehrere Broschüren
veröffentlicht, sondern auch ein Lehrpfad zum Todesmarsch eingerichtet. In
Sebnitz, Rugiswalde, Saupsdorf, Hinterhermsdorf, aber auch in Kyjovské údoli (Khaatal),
Chribska (Kreibitz) und Varnsdorf (Varnsdorf) stehen seither Gedenktafeln, die
an das Leid der völlig entkräfteten und erniedrigten Häftlinge erinnern, von
denen etwa die Hälfte auf dem Marsch tot zusammenbrach oder erschossen wurde.
Ute Näser, die dem Verein seit Anfang der 1990er Jahre angehört, hat in den
letzten Jahren die Erinnerungen von rund 30 Überlebenden aus Kanada, Israel und
Tschechien gesammelt und dokumentiert. „Viele Menschen haben auf Englisch oder
Tschechisch geantwortet“, erzählt sie. „Denn für viele ist und bleibt
deutsch einfach zu eng mit der schrecklichsten Zeit ihres Lebens verbunden.“
Über Schicksale stolpern
Die Erinnerung an den Todesmarsch von Schwarzheide lebendig zu erhalten, ist
allerdings nicht das einzige Ziel, das sich der Verein „Grenzlos“ gesetzt
hat. „In nächster Zukunft wollen wir uns verstärkt um die nun geplanten
Stolpersteine in Sebnitz kümmern“, sagt René Senenko. Dabei geht es darum,
den Opfern der Nazi-Herrschaft in Sebnitz Gesicht, Namen und Geschichte zu
geben. Es wäre schön, meint Senenko, wenn Bürgermeister Mike Ruckh in den
kommenden Wochen auch Vertreter von „Grenzlos“ in die neu eingerichtete
Arbeitsgruppe für die „Stolpersteine“ einladen würde. Genauso wie es schön
wäre, wenn sich die Zusammenarbeit über die Grenze hinweg intensivieren würde.
Doch das dürfte nicht ganz einfach werden.
Einige Menschen, mit denen die Historiker auf tschechischer Seite kooperierten,
sind mittlerweile verstorben. Richtige Vereine, mit denen „Grenzlos“
zusammenarbeiten könnte, gibt es auf der böhmischen Seite ohnehin kaum.
„Viele Menschen in Tschechien haben eine große Scheu davor, sich in Gruppen
zu organisieren“, weiß Holger Bartz, der erst vor Kurzem zu „Grenzlos“
gestoßen ist. „Und vor allem junge Leute ziehen auch aus dem böhmischen
Grenzland weg“.
Antifaschistische Tradition
René Senenko hofft trotzdem, dass sich die Zusammenarbeit intensiviert:
„Gerade mit dem Schluckenauer Zipfel könnte man so vieles zusammen machen –
schließlich haben die Antifaschisten auf beiden Seiten der Grenze hier schon zu
Zeiten des Hitler-Regimes sehr intensiv zusammengearbeitet.“