Bildbericht (Juni 2006)
Rundfahrt mit einer Thüringer VVN-Gruppe
Eindrücke vom Besuch in drei
Gedenkstätten Dresdens, Pirnas und Hohnsteins
Vier Freunde der Grenzlos-Gruppe schlossen sich einer von Elke Pudszuhn
geführten 40köpfigen Reisegruppe
der Thüringer VVN-BdA an, die über vier Tage
(15.-18. Juni) auf den Spuren von Verfolgung und Widerstand der Jahre 1933-1945
die Sächsische Schweiz bereiste. Das gedrängte Programm der Exkursion ließ
kaum Wünsche offen: Gesprächsrunden mit Vertretern der sächsischen VVN-BdA
sowie mit der Historikerin Barbara Weinhold*, die über eine
mutige trotzkistische Bergsteigergruppe aus Dresden zu berichten wusste, eine
Wanderung mit dem Dresdner Historiker Joachim Schindler auf den Spuren der Roten
Bergsteiger in den Schrammsteinen, ein Besuch der Bastei mit anschließender
Elbeschifffahrt, ein Auftritt des Bergsteigerchors "Kurt Schlosser"
auf der Napoleonschanze in Hohnstein, eine Führung über den Neuen Israelitischen Friedhof in Dresden mit Nora Goldenbogen vom Hatikva-Verein und
ihr anschließender Vortrag in der neuen Dresdner Synagoge. So hießen, neben
dem Besuch von drei Gedenkstätten, die Stationen der erlebnisreichen Tour,
sekundiert von schönstem Frühsommerwetter.
Jedoch will ich in meinem Bericht lediglich auf die von
uns besuchten Gedenkstätten in Dresden, Pirna und Hohnstein eingehen (wobei
einzuschränken ist, dass im Falle Hohnsteins von einer Gedenkstätte nicht mehr
die Rede sein kann). Meine Eindrücke müssen subjektiv ausfallen, zum einen,
weil ich diesen Bericht allein, also ohne Rücksicht auf das Urteil anderer
Reiseteilnehmer verfasst habe. Zum andern: Wir wissen nicht, ob die
Führungen und Vorträge, wie wir sie in Dresden und Hohnstein erlebt haben, nur
aus Rücksicht auf den politischen Standort der Reisegruppe (VVN-BdA) so
sachlich abliefen und ob im Falle von Pirna-Sonnenstein der abwicklerische
Duktus im Vortrag von Frau Scharnetzky tatsächlich als repräsentativ für die
Außendarstellung der Gedenkstätte gelten kann. Deshalb interessieren mich
auch die Eindrücke anderer antifaschistisch gesinnter Besucher und
Reisegruppen. Schreibt uns!
Gedenkstätte Münchner Platz in Dresden
Im Innenhof am ehemaligen Justiz- gebäude Münchner Platz in Dresden: die Gedenkstätte für die Opfer der NS-Justiz |
Am 15. Juni
besuchten wir die Gedenkstätte Münchner Platz in Dresden,
durch die uns der stellvertretende Leiter der Stätte, Gerald Hacke,
führte. Sie gehört zu jenen Einrichtungen, die von der sächsischen Gedenkstättenstiftung
("zur Erinnerung an die Opfer politischer Gewaltherrschaft") noch
gefördert werden. Man erhob die Stätte in den extra konstruierten Status einer
"doppelten Vergangenheit" und saldierte auf den
aufgestellten Tafeln die Zahl der Opfer von vor und nach 1945 in einem Atemzug.
Geschichtsakrobatik pur! Den 1300 von den Nazis Hingerichteten (ein Drittel von ihnen waren Tschechen) stehen
laut aktuellem Gedenkstätten-Faltblatt 66 Nachkriegstote gegenüber, von den die Hälfte durch
die DDR-Justiz aus politischen Gründen zum Tode verurteilt worden war. Man
spürt an allen Ecken und Enden das Bemühen, NS-Justiz und DDR-Justiz wenn nicht
direkt zu vergleichen, so doch in eine enge Beziehung zu setzen. Das wirkt
aufgesetzt, hat aber seine Logik, weil die tonangebende Politik in Sachsen ja
gerade auf eine Vergleichbarkeit beider Systeme hinaus will. Letzteres war der Grund dafür, dass
mehrere Verfolgtenverbände aus der o.g. Stiftung im Januar 2004 unter Protest
ausgetreten sind. Auch
bei der Gestaltung der Texttafeln und anderer Elemente des Gedenkens am
Münchner Platz haben mehrere Vereinigungen (so der Freundeskreis der
Gedenkstätte und die sächsische VVN) öffentliche Kritik angemeldet. Man darf
gespannt sein, welches Gesicht die in Vorbereitung befindliche Dauerausstellung
haben wird. Die Führung durch Herrn Hacke empfanden wir jedenfalls als
wohltuend sachlich und äußerst informativ. |
Burg Hohnstein
Ganz anders ist die Situation auf der Burg Hohnstein. Wie in Dresden wurde auch hier (2001) die aus DDR-Zeiten stammende Dauerausstellung (Museum) bzw. die Gedenkstätte beseitigt. Nähert man sich der Burg, so empfängt einem die völlig verwahrloste Gedenkstele für die Opfer des Faschismus, die von Wilhelm Landgraf geschaffen und 1961 an der Burgmauer (links vom Burgtor) eingeweiht worden war. In den heutigen Vitrinen zur Geschichte der Burg ist die "Schutzhaft"-Ära 1933/34 auf eine Fläche von ein oder zwei A4-Blättern zusammengeschrumpft. Auch auf der Internetseite der Burg findet sich nur ein dürrer chronologischer Hinweis zu diesem Kapitel jüngerer Burggeschichte. | Auf der Burg Hohnstein. Winfried Pätzold, Mitarbeiter der Burg, und Elke Pudszuhn, Leiterin unserer Reisegruppe |
Nach der Wende hatte das
Naturfreundejugend-Häuserwerk die Jugendburg übernommen und als Jugendherberge
weiter betrieben. Bereits in der Weimarer Republik galt sie als schönste und
(an Übernachtungskapazität) größte Jugendherberge Deutschlands.
Heute, da die Burg Hohnstein nicht zu den von der
Gedenkstättenstiftung geförderten Häusern zählt und der Hausherr sie
wirtschaftlich nur mit Mühe über Wasser zu halten vermag, fehlt es an Mitteln für die
Gestaltung einer neuen Dauerausstellung. Nun fühlen sich ja die
Naturfreunde gemäß ihrer Satzung dem "demokratischen Sozialismus"
verpflichtet, so dass man den politischen Willen unterstellen darf, die
unheilvolle Geschichte der Burg nicht ganz unter der Tisch fallen zu lassen.
Denn in
den Jahren 1933/34 gehörte die Burg Hohnstein zu den ersten KZs in
Deutschlands. 5600 Antifaschisten wurden hier inhaftiert. Berüchtigt war das KZ
wegen der Brutalität seiner SA-Wachtleute. Und so kam es im Jahr 2002 zu einer Aussprache auf der Burg, an der neben den
Gastgebern auch die Sebnitzer Spurensucher, die sächsische VVN und Thomas Jurk,
der SPD-Landtagsfraktionschef, beteiligt waren. Man war sich rasch darüber
einig, dass eine neue Ausstellung vonnöten sei. Doch Mittel standen damals
nicht zur Verfügung. Und so gibt es auch heute noch keine
Dauerausstellung zum "Schutzhaftlager" Hohnstein oder gar eine Gedenkstätte für die 160 KZ-Opfer. Ganz aufrichtig ist das Bekenntnis der Naturfreunde
allerdings nicht, denn sie setzen bei
der Vermarktung der Burg auf pures "Naturerlebnis und Burgromantik".
Zudem wäre das Ehrenmal neben der Burgauffahrt auch mit geringen Mitteln wieder herzurichten.
Der Mitarbeiter der Burg, Winfried Pätzold, führte uns nun am 17. Juni über
die Burg. Seine halbstündige Führung war ohne Zweifel routiniert und faktenreich. Auch
sparte er die Jahre 1933/34 nicht aus, wenngleich er sich bei der Bewertung der
Haftbedingungen eher vorsichtig äußerte. Dass Herr Pätzold an
diesem Vormittag bereits zwei Führungen hinter sich hatte und er nebenbei noch
die Rezeption der Jugendherberge zu bewältigen hatte, wirft ein Schlaglicht
auf die personelle und wirtschaftliche Situation der Burg. Die Jugendherberge,
so Herr Pätzold, drücke enorme finanzielle Sorgen und
stehe bald vor dem Aus, wenn sich die Situation nicht bald zum Besseren
wende.
Gedenkstätte Pirna-Sonnenstein
Die Gedenkstätte Pirna-Sonnenstein. Außenansicht mit Lift. Damit sind alle Stockwerke der Gedenkstätte auch für Behinderte zugänglich. |
Was wir am 16. Juni bei einem Vortrag in der Gedenkstätte Sonnenstein in Pirna erlebten,
zeigt den Erfolg der von sächsischer Regierung und Birthlerbehörde vorangetriebenen
neuen Ideologisierung der Gedenkstättenarbeit. Die
einschlägige DDR-Abwicklung wird hier in bizarrer Weise auf die Spitze getrieben.
Zumindest hinterließ der von uns besuchte Vortrag auf Sonnenstein
diesen Eindruck. Das von der Gedenkstättenstiftung geförderte Haus wurde im Jahr 2000 eröffnet. Dem gingen - seit der Wende - viele Jahre Forschung voraus, für die sich besonders ihr jetziger Leiter Dr. Boris Böhm engagiert hat. Dass es die Gedenkstätte heute gibt, verdient große Anerkennung! Ich habe die umfassende und professionell gemachte Dauerausstellung in der Kürze der Besuchszeit nicht vollständig aufnehmen können, doch haben einige Exkursionsteilnehmer, mit denen ich sprach, sie als äußerst sachlich und informativ gelobt. In dem aktuellen Faltblatt der Gedenkstätte spürt man allerdings das Bemühen, den neuen Geldgebern gerecht zu werden. Da finden sich folgende Halbwahrheiten: "In Pirna sprach man nach dem Ärzteprozess [1947] kaum noch über die verübten Verbrechen. Diese wurden über vier Jahrzehnte verdrängt und weitgehend verschwiegen [im Original farblich hervorgehoben]. (...) Erst seit Herbst 1989 drang das historische Geschehen allmählich in das öffentliche Bewusstsein der Stadt. Am 1. September 1989 wurde im Evangelischen Gemeindezentrum Pirna-Sonnenstein (...) eine kleine Ausstellung des Historikers Götz Aly zur 'Aktion T4' eröffnet, die viel öffentliche Beachtung fand. In der Folge entstand eine Bürgerinitiative zur Schaffung einer würdigen Gedenkstätte (...)." |
Mit solchen Sätzen wird schon wieder Geschichte zurechtgestutzt. Sicher, jahrzehntelang tat sich
nicht viel um das Gedenken für die Euthanasieopfer auf dem Sonnenstein. Doch nicht die Ausstellung der Evangelischen
Gemeinde und die Bürgerinitiative lieferten die ersten Impulse zur Schaffung
einer Gedenkstätte, sondern weit früher gab ein Schreiben des Abiturienten
Thomas Schilter an den Rat des Kreises den ersten Anstoß. Daraufhin bildete
sich im Sommer 1989 beim Rat des
Kreises Pirna eine Arbeitsgruppe, die sich das Ziel stellte, eine würdige
Gedenkstättenkonzeption für Sonnenstein auszuarbeiten. Zur Mitarbeit in diesem
Gremium waren übrigens auch die Kirchen eingeladen. Im Auftrag dieser
Arbeitsgruppe legte der Pirnaer Hugo Jensch eine erste Arbeit zum Thema vor**, die
die Abteilung Kultur beim Rat des Kreises Anfang 1990 als Broschüre herausgab
und sie in der Stückzahl von Klassensätzen auch an die Schulen weitergab.
Ebenfalls unerwähnt bleibt auf dem zitierten Faltblatt, dass es auf dem Sonnenstein seit 1973 eine
Gedenktafel für die Opfer der Euthanasieverbrechen gibt.
"Verdrängen" und "verschweigen"? Für wen gilt das heute? könnte man fragen.
Wer meine Kritik für übertrieben hält, lausche in
der Gedenkstätte Sonnenstein einem Vortrag der Mitarbeiterin Beate Scharnetzky, wie es unsere
Reisegruppe getan hat. Über ein Faltblatt kann man vielleicht hinwegsehen, über
das Evangelium, was Frau Scharnetzky predigt, nicht. Eigentlich war das Thema
ihres Vortrags die Geschichte der Eugenik und Euthanasie. Ohne Zweifel verfügt
die Referentin über einiges Faktenwissen hierzu. Nach einem äußerst ermüdenden,
mehr als eine Stunde währenden Referat zur Geschichte des Gegenstands im allgemeinen kündigte
Frau Sch. an,
sie wolle nun auf die Euthanasie in Deutschland zu sprechen
kommen, bevor
sie auf die Verbrechen auf dem Sonnenstein eingehe. Ich warf an dieser Stelle die
Frage ein, ob sie nicht sofort auf Sonnenstein zu sprechen kommen
könne; immerhin seien wir ja wegen dieses Themas angereist. Doch weil ein Teil der
anwesenden Zuhörer geschlafen hatte und nicht unhöflich sein wollte und dem
anderen Teil der Zuhörer die Geschichte der Euthanasie tatsächlich neu war,
stimmte die Mehrheit im Saal dann für die ungekürzte Weiterführung des
Vortrags. Aber immerhin war die Gemeinde jetzt hellwach und begann
Zwischenfragen zu stellen, auch kritische. Als die Referentin auf die Verfolgung
der Naziverbrechen nach 1945 zu sprechen kam, entfuhr ihr die Feststellung, weder in Ost
noch West seien ja Euthanasie-Täter konsequent verfolgt worden. Als
die Reisegruppe hier Widerspruch anmeldete, schleuderte Frau Sch. uns - im Bewusstsein
wen sie vor sich hatte - erregt entgegen, ihr Großvater sei ja auch Kommunist gewesen, und sie achte die
Ideale seiner Generation. Doch habe er für die falsche Sache gekämpft, denn de DDR
sei kein antifaschistischer Staat gewesen. Das sei ja spätestens durch ein neues Buch von der Birthlerbehörde
hinreichend klargestellt worden. - Da sie weder Autor noch Titel des Buches benennen
konnte, half ich nach: "Sie meinen doch das Buch von Henry Leide, das im Vorjahr
unter dem Titel 'NS-Verbrecher und Staatssicherheit' erschienen ist und von
der Birthlerbehörde mit viel Pomp publik gemacht worden war."
Es war nicht fassen! Wie konnte jemand so naiv sein, fragten wir uns, und sein neues Weltbild auf ein
Auftragswerk der Birthlerbehörde begründen? - auf ein Buch
also, das ein Mitarbeiter der Birthlerbehörde verfasst hatte und welches selbst von arrivierten Historikern nur reserviert aufgenommen
worden ist.
Bliebe noch ihr Pauschalvorwurf zum Nachkriegsumgang mit den Euthanasie-Tätern. Tatsächlich gab es auch in der
DDR auf diesem Gebiet Versäumnisse. Zumindest das Beispiel des in Jena einst
hochgeehrten Kinderarztes Dr. Jussuf Imbrahim zeigt das. Doch daraus den Schluss
zu ziehen, in die T4-Aktionen verwickelte Ärzte, Pfleger und Schwestern seien
nach dem Krieg in Ost und West gleichermaßen glimpflich weggekommen, ist
absurd. In Westdeutschland kam es nur in der
kurzen Phase, nämlich als die Besatzungsmächte nach der Befreiung Recht sprachen, zu einer
einigermaßen konsequenten Verfolgung von NS-Tätern, und selbst, wenn diese
Nazis ein
Urteil ereilt hatte, mussten sie nicht lange büßen. Denn Adenauer ließ sie
kraft Amnestie bald laufen, so dass ihrer kurz unterbrochenen Karriere
nichts mehr im Wege stand. Wie aber war das bei den belasteten T4-Medizinern?
Prof.Dr. C.F. Rüter von der Universität Amsterdam
hat im Rahmen eines großangelegten Projektes systematisch alle Prozessakten
wegen NS-Tötungsverbrechen in Ost und West erfasst und ausgewertet. Er kommt in
Punkto Euthanasie zum Schluss: „In Ostdeutschland (SBZ, dann DDR) sind in der
Bevölkerungsrelation, also pro 100.000 Einwohner, 50% mehr Euthanasieärzte
abgeurteilt worden als in Westdeutschland. Von den in Westdeutschland
abgeurteilten Ärzten (28) bleibt jeder zweite straffrei, in Ostdeutschland
bekommen 17% der abgeurteilten Ärzte (insgesamt 12) keine Strafe.“
Und der Fall der Jenaer Professorin Rosemarie Albrecht? Dazu hat ein Mitglied
unserer Reisegruppe, eine Thüringerin, sehr fundiert Auskunft gegeben. Ganz offensichtlich
handelte es sich bei dem 2005 eingestellten Verfahren zum "Fall Albrecht"
um den erfolglosen Versuch der Thüringer
BStU-Behörde, der DDR nachträglich noch einen nicht ausreichend
verfolgten Euthanasiefall anzuhängen. Frau Scharnetzky nahm diese Fakten zwar zur
Kenntnis, aber ihr Gesichtsausdruck verriet sichtlich, dass sie darüber anders
dachte als die angereisten Gäste aus Thüringen.
Text und Fotos: René Senenko
* Barbara Weinhold ist Verfasserin des Buches
"Eine trotzkistische Bergsteigergruppe aus Dresden im Widerstand gegen den
Faschismus" (2004)
** Hugo Jensch: Euthanasie-Aktion "T4". Verbrechen in den Jahren 1940
und 1941 auf dem Sonnenstein in Pirna. Pirna Februar 1990. Vollständig auf der
Internetseite von Hugo Jensch veröffentlicht.