Stellungnahme von René Senenko, Gruppe Spurensucher (25. April 2005)
Wer hat die Nazis wieder erstarken lassen? 
Die Spurensucher zu OB Rucks Äußerungen

Der Sebnitzer Oberbürgermeister sonnt sich gern in dem Ruf, von Rechts und Links gleichermaßen attackiert zu werden. Damit das auch funktioniert, musste er mit seinem SZ-Interview selber nachhelfen. Wusste er doch, dass seine Äußerungen nicht unerwidert bleiben würden.
Erinnert sei daran, dass die herrschende Politik seit der Wende alles daran gesetzt hat, die antifaschistische Orientierung in Ostdeutschland abzuwickeln: In der Schulbildung, in den Medien, ja bis hin zu den öffentlichen Namensgebungen. Sebnitz war mit seinen Straßenrückbenennungen darin Schrittmacher.

Hinzu kam eine Umpolung des Gesellschaftsbildes: Obwohl jeder weiß, dass die großen Unternehmen gigantische Gewinne einfahren, wird von Klassen nicht mehr gesprochen. An die Stelle der Gesellschaftsanalyse trat der Vergleich „totalitärer Regime“. Auch Herr Ruckh bedient diese Extremismus-Schubladen, indem er sich in der demokratischen Mitte wähnend gegen Links und Rechts zur Wehr zu setzen meint.

Waren einmal die Werte und Orientierungen der DDR entsorgt, so bestellten die Nazis bald dieses Feld unter den Jugendlichen. Nazis gab es in Sebnitz bereits zwei Jahre nach der Einheit, wenn nicht schon eher. Ich erinnere an den blonden Bayern-Import Constantin Meyer, der sich in Dresden niedergelassen hatte und an dessen Lippen nicht nur die Sebnitzer „Kameraden“ der Nationalen Offensive (NO), sondern auch viele unorganisierte Sebnitzer Jugendliche hingen. Erinnern sich die Sebnitzer Einwohner an die vielen weißen und gelb-roten Aufkleber der NO im Stadtbild? Sebnitz war nie eine Nazihochburg. Aber gerade weil diese Stadt eine „ganz normale“ Kleinstadt ist, hat sie viel zu lange die Augen vor den hauseigenen Nazis verschlossen. Heute gehören die Nazis und NPD-Wähler zur Normalität in der Stadt und in der Region.

Und da wundert sich OB Ruckh, wenn sich junge Antifaschisten gegen Nazistörungen am 29. April formieren? War er es nicht, der kaum einige Tage im Amt, also vor ziemlich genau 12 Jahren, sein „Nein“ zum Erhalt des Schollheims kundtat? Wäre damals nicht das Klima in der Stadt bereits zugunsten des Schollheims umgeschlagen, mit OB Ruckh würde jetzt das Jugendzentrum in einigen Zimmern neben der jetzigen Stadtbibliothek vor sich hindümpeln. Gut, dass das heute viele, auch OB Ruckh, anders sehen. Seither hat sich der Oberbürgermeister vermehrt gegen die Nazis zu Wort gemeldet. Darin werden wir „Spurensucher“ ihn zu jeder Zeit unterstützen. Aber es ist wenig überzeugend, wenn Herr Ruckh am 18. April 2005 den Überlebenden des Todesmarsches von 1945 versichert, ihr Vermächtnis zu bewahren, aber 4 Tage später gegen die Formierung antifaschistischer Kräfte am 29.4. wettert. Statt gegen Nazis mobil zu machen und deren Auftreten zu verhindern, greift er jene an, die stets gegen die allzu lange Tolerierung der Naziumtriebe aufgetreten sind.



Anmerkung:
Natürlich kennen wir die Argumente der tonangebenden Politiker in diesem Lande. Um als demokratische Mitte glaubwürdig zu erscheinen, werden konsequent linke ebenso wie neofaschistische Positionen von ihr als gleichermaßen "extremistisch" behandelt. Da die Regierung aus dieser Position heraus natürlich nicht alles, was sie unter "linksextremistisch" versteht, verbieten kann (oder will), nur um auch die Naziorganisationen auszuschalten, und umgekehrt, so lässt man beide "Extreme" gewähren. Soweit zum politischen Selbstverständnis der Bundesrepublik, deren Politiker beteuern, sie hätten aus der Geschichte gelernt. Deshalb tummeln sich heutzutage in Deutschland noch und wieder allerorten Nazis. Dabei hat das Potsdamer Abkommen 1945 im III. Abschnitt ("Deutschland") unter Punkt 3.IV. der "Politischen Grundsätze" folgendes bestimmt: "Jeder nazistischen und militaristischen Betätigung und Propaganda ist vorzubeugen." Obwohl das Potsdamer Abkommen nie außer Kraft gesetzt worden ist, hat die Bundesrepublik den Organisationen der alten und neuen Nazis immer viele Freiräume und Einflussmöglichkeiten gelassen. Heute nun sitzt die NPD im sächsischen Landtag und wird von Steuergeldern mitfinanziert.
Das Schimpfen auf beide "Extreme" ist verlogen, weil die herrschende Politik der Bundesrepublik eben nicht der "nazistischen Propaganda" vorgebeugt hat, die Nazis hat gewähren lassen und ihnen heute noch Staatsknete überweist. Solange man das Bild der "demokratischen Mitte" braucht, braucht man auch das Feindbild der politischen "Extreme".