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Haenke und Humboldt – Gedanken zu einem Vergleich

von Thomas Schmuck, Baden/ Österreich

Selten sind die Schicksale zweier Menschen, die von sehr ähnlichen Interessen geprägt waren, unterschiedlicher verlaufen als die von Thaddäus Haenke und Alexander von Humboldt. Während der eine, zumindest dem Namen nach bis heute bekannt und berühmt, schon zu Lebzeiten eine Legende war, ist der andere bis heute unbekannt geblieben. Beide forschen und arbeiten in Südamerika im ausgehenden 18. und beginnenden 19. Jahrhundert; während Humboldt aber heimkehrt und die Ergebnisse seiner Reise fast ein Leben lang auswertet und publiziert, bleibt Haenke in Südamerika zurück, zuerst freiwillig und gegen jede Vereinbarung mit seinem Dienstgeber, später wohl unfreiwillig und durch den Krieg behindert. Während der eine, bekannt und befreundet mit vielen großen Wissenschaftlern seiner Zeit, zwei Jahrzehnte in Paris, dem Zentrum der wissenschaftlichen Welt, lebt und arbeitet, bleibt der andere in Cochabamba, in den Bergländern und Ostabhängen des heutigen Peru und Bolivien zurück, hier eine auffällige Erscheinung, aber ohne wirkliche Kontakte zur wissenschaftlichen Welt. Als Humboldt Anfang Mai 1859 im bald kaiserlichen Berlin im Sterben liegt, senken, Boten einer neuen Zeit, die vorbeimarschierenden Arbeiter die roten Fahnen aus Achtung für ihn, der doch Gesellschafter und Diplomat des preußischen Königs war, den sie aber auch für einen der ihnen nahestehenden halten, für einen unermüdlichen Kämpfer gegen Sklaverei und Ausbeutung; wann genau und wie Haenke stirbt, bleibt lange unklar und rätselhaft.

Am Anfang eines Vergleichs zwischen Haenke und Humboldt muss die vieldiskutierte Frage stehen, ob sich die beiden Südamerikareisenden je persönlich begegnet sind. Das Suggestive einer solchen Begegnung, die Vorstellung, daß sich die beiden ersten und größten deutschen Südamerikaforscher um 1800 auf "ihrem" Kontinent gegenüberstanden, ist dabei größer als die Kraft der uns bekannten Tatsachen. Haenke und Humboldt sind sich mit größter Wahrscheinlichkeit nie begegnet. Das lässt sich durch zwei Argumente begründen: erstens gibt es keinen Hinweis auf ein solches Zusammentreffen; und zweitens hat Humboldt nirgendwo auch nur eine Andeutung einer Begegnung mit Haenke gemacht, und das wäre zumindest ungewöhnlich bei einem Autor, der uns sonst kaum eine Bekanntschaft verschwiegen hat.

Es kann hier nicht der Ort sein, Haenkes und Humboldts wissenschaftliche Leistungen auch nur im Überblick vergleichend wiederzugeben. Auf eines möchte ich aber hinweisen, weil es mir von zentraler Bedeutung für das Verständnis ihrer Arbeit zu sein scheint: mit Haenke und Humboldt beginnt die systematische Erforschung des Inneren eines Kontinents. Alle bisherigen Reisen waren Seereisen gewesen, die nur die Küsten berührten, eher punktuell ins Innere eines Erdteils eindrangen, und die nur die wissenschaftlichen Umrisslinien der Welt nachzuzeichnen gestatteten. Hier zum ersten Mal durchreisen und durchwandern zwei Männer, die eine je solide und vielseitige naturwissenschaftliche Ausbildung besaßen, das tiefe Innere eines wissenschaftlich praktisch unbekannten Erdteils. Beide hatten auf ausgedehnten Reisen in Europa Erfahrungen gesammelt, Humboldt in den Alpen, Haenke im Riesengebirge. Mit diesen Reisen und durch diese Arbeit sollten sie, und das gilt für den bekannteren Humboldt in weitaus größerem Maße als für Haenke, vorbildhaft für alle nach ihnen kommenden Wissenschaftler werden, für Spix und Martius ebenso wie für Eduard Friedrich Poeppig, der, wie es scheint, sogar seine Route danach auswählt, wo Humboldt noch nicht war; fürchtet Poeppig doch, daß sein Vorgänger für die Erforschung nichts mehr übrig gelassen hätte, und so verlässt er Kuba, als er erfährt, dass Humboldt und Bonpland hier schon Pflanzen gesammelt hatten, und schifft sich nach Chile ein, ein Land, das Humboldt nie betreten hatte. (1)

Über Haenkes Unglücksfälle auf seiner Reise ist viel geschrieben worden; auch hierin unterscheidet er sich vom glücklicheren Humboldt, der zwar auch in bedrohliche Situationen geriet, sie aber immer meisterte und zuletzt mit fast 90 Jahren starb, nicht die Regel für einen Tropenreisenden, wie man an Pineda, Natterer oder Spix sehen kann. Auch die Umstände der Reisen selbst unterscheiden sich ganz bedeutend: Haenke reiste in staatlichen Diensten, und die Leistungen, die auf solchen Forschungsfahrten unternommen wurden, sind, wie das Beispiel Malaspinas zeigt, nicht immer geschätzt und unterstützt worden. Haenke stand unter der Befehlsgewalt des Kapitäns; und er war auf der Reise auch finanziell an die spanische Krone gebunden. Der preußische Adelige Humboldt reiste als reicher Privatmann, mit einer großzügigen und weitgehenden Vollmacht des spanischen Königs, die ihn wesentlich in Amerika unterstützte. Er finanzierte seine Reise zur Gänze selbst und war damit auch finanziell unabhängig, und konnte sich sogar leisten, Bonpland zur Unterstützung die Mitreise zu bezahlen.

Auch in der wissenschaftlichen Ausrüstung zeigt sich der Unterschied. Zwar stimmt es nicht, daß Haenke bei seinem Schiffbruch in seiner Mütze nur einige Skripten aus Europa retten konnte. Er besaß aber am Anfang seiner Reise in Südamerika nur drei wissenschaftliche Instrumente, und musste alles, was er benötigte, aus Europa erbitten, teuer bezahlen und einführen. Humboldt besaß dagegen, wie er selbst sagte, "die besten Instrumente meiner Zeit"; insgesamt dürften es etwa 50 verschiedene Instrumente gewesen sein, mit denen er und Bonpland ihre Messungen durchführten. (2)

Zuletzt finanzierte Humboldt, worüber er sein großes Vermögen verlor, auch die aufwendige Ausgabe seiner Reisebeschreibung, die wohl größte Werkedition, die je ein Privatmann unternommen hat. Die Verbreitung seiner wissenschaftlichen Ergebnisse war aber damit gesichert. Von Haenke liegt bis heute kein Sammelband mit seinen wichtigsten wissenschaftlichen Arbeiten vor.

Was war es, was beide an Südamerika so anzog? Für beide, Haenke wie Humboldt, ist das tropische Amerika der Inbegriff aller Naturschönheiten, der wahre Ort der Natur, die eigentliche Heimat des Naturforscher. Nur theologische Metaphern scheinen ihnen ausreichend genug, um die Bedeutung des Kontinents zu kennzeichnen. „Wir kommen noch von Sinnen, wenn die Wunder nicht bald aufhören", so Humboldt kurz nach der Landung bei Cumaná.

Die Tropen selbst waren für Haenke ein Ort wahrer Natur: "Doch! Welche Glückseligkeit ist´s, unter dem tropischen Klima zu leben!" (3) Ihr ewiger Frühling und die wunderbare Kraft ihrer Früchte verlieh den Tropen die Aura des Paradiesischen. "Europa würde sich entvölkern, wenn seine Bewohner deutliche Begriffe von dem Glücke, von der Schönheit, dem Überflusse und der ungestörten glücklichen Ruhe dieser Länder hätten." (4)

Die gänzliche Neuartigkeit und Andersartigkeit der neotropischen Pflanzenwelt, im speziellen Fall der Flora der Anden, hat Haenke, einen Kenner der alpinen Pflanzenwelt, in einem Brief an den Wiener Botaniker N. Jacquin präzis beschrieben; nach einer lapidaren Beschreibung der Strapazen und Lebensgefahren bei der Andenüberquerung von 1790 heißt es: "[...] der Lohn meiner Bemühungen ist eine reichliche und gesegnete Sammlung von Pflanzen, die was ihr äußerliches Ansehn betrifft, in einem ganz andern Planeten erzeugt zu seyn scheinen, und die das Gepräge des Sonderbaren und der Größe ihrer Geburtsstätte verrathen." (5) Und ähnlich an den Geognosten und Freimaurer Ignaz von Born: "Meine Sammlung von Pflanzen von den Gipfeln der Cordilleras ist sicher eine der sonderbarsten und seltensten Sammlungen, die je ein Botaniker auf den Alpen gesammelt hat: Pflanzen aus dem Monde könnten kein so sonderbares Aussehen haben und ich wünschte nichts mehr, als daß sie einst unverletzt nach Europa kommen möchten." (6)

Neben der Andersartigkeit ist es die große Diversität der Arten und Lebensformen, die Haenke und Humboldt an den Tropen fasziniert. Haenkes botanische Entdeckungen sind bis heute nicht richtig gewürdigt worden; (7) dabei entdeckte er neben vielen anderen Arten zwei, vielleicht drei der bemerkenswertesten Pflanzen Amerikas, 1791 (möglicherweise) den Mammutbaum (8) in Kalifornien, 1794 die größte Bromelie der Welt (9) und 1801 die Seerose Victoria amazonica (10) mit Blattdurchmessern von bis zu vier Metern. Humboldts Reisebegleiter Aimé Bonpland hat sie 1819 nahe Corrientes am Rio Paraná / Paraguay gefunden; die Samen, die Bonpland 1835 nach Paris schickte, überlebten nicht. (11) Allein auf seiner Andendüberquerung 1790 soll Haenke über 1400 Pflanzen gesammelt haben, von denen die Mehrzahl unbeschrieben waren, (12) und während des Aufenthalts in Kalifornien kamen hundert neue Arten hinzu. (13) Insgesamt sollen Haenkes Neuentdeckungen "viele Tausende von Pflanzenspecies" (14) umfasst haben.

Humboldts Ruhm begann früh, und er wurde wesentlich gefördert durch seine Bekanntschaften mit zahlreichen Schriftstellern und Philosophen. So gehört zum Bestand von Novalis´ Bibliothek, der 1801 gestorben war und damit nur das Werk des jungen Humboldt rezipieren konnte, auch zwei Arbeiten des zur Zeit von Novalis´ Tod gerade im (späteren) Kolumbien landenden Landsmanns, nämlich >Ueber die unterirdischen Gasarten< und >Ueber die Zerlegung des Luftkreises<. (15) Aber auch aus einem anderen Buch hätte Novalis ihn kennenlernen können, aus Carl Ludwig Willdenows >Grundriß der Kräuterkunde<, das sich ebenfalls in seinem Besitz befand. Hier wird der noch nicht dreißigjährige Humboldt bereits als Gestalt der Geschichte der Botanik dem wissenschaftlichen Publikum vorgestellt. Nur wenige junge Wissenschaftler finden so früh Eingang in die historischen Kapitel von Lehrbüchern. Einer solchen Wirkungsgeschichte kann man im fernen und abgeschnittenen Cochabamba kaum etwas entgegensetzen.

 

Literatur

Beck, Hanno (Hrsg.): Alexander von Humboldts Amerikanische Reise. (S.264 f). Stuttgart 1985

Gicklhorn, Josef: Thaddäus Haenke – Forschungsreisender und Kolonialpolitiker. In: Österreichische Naturforscher und Techniker. Hrsg. von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Wien 1951, S.14-16

Gicklhorn, Renée: Thaddäus Haenkes Reisen und Arbeiten in Südamerika [ =Acta Humboldtiana Series historica Nr.1 ] . Wiesbaden 1966

Henze, Lemma ´Haenke´ In: Bd.2. Graz 1983, S.428-430

Kühnel, Josef: Thaddaeus Haenke. Leben und Leistung eines sudetendeutschen Naturforschers. Haida 1939

Kühnel, Josef: Thaddaeus Haenke. Leben und Wirken eines Forschers. München, Prag 1960

Meyer-Abich, Adolf: Alexander von Humboldt. Reinbek 1985

Morawetz, Wilfried / Röser, Martin (Hrsg.): Eduard Friedrich Poeppig 1798-1868. Gelehrter und Naturforscher in Südamerika. Leipzig 1998

Schmuck, Thomas: Im Schatten Humboldts. Poeppig und Humboldt – ein analytischer Vergleich. In: Wilfried Morawetz / Martin Röser (Hrsg.): Friedrich Eduard Poeppig 1798-1868. Gelehrter und Naturforscher in Südamerika. Leipzig 1998, S.145-175

Schmuck, Thomas: „Wenn die Wunder nicht bald aufhören...„ – Zu Alexander von Humboldts Amerikareise. In: Wildlife Observer 3 / 99, S.

Schmuck, Thomas: „Die unermeßliche Zeit der Natur„ – Zum Natur- und Zeitbegriff bei Alexander von Humboldt und seinen Voraussetzungen bei Treviranus, Meineke, Cuvier, Martius, Unger und Poeppig. Dissertation. Wien 2000

Schultze-Motel, Jürgen: Gymnospermen. In: Urania Pflanzenreich Bd.2. Leipzig, Jena, Berlin 1992, S.252-373

Seeberger, Max: „Geographische Längen und Breiten bestimmen, Berge messen„ – Humboldts wissenschaftliche Instrumente und seinen Messungen in den Tropen Amerikas, und ders.: „Die besten Instrumente meiner Zeit„ – Humboldts Liste seiner in Lateinamerika mitgeführten wissenschaftlichen Instrumente. In: Alexander von Humboldt – Netzwerke des Wissens. Ausstellungskatalog. Bonn, Berlin 1999

Wagner, Joachim: Die Königin der Seerosen. Wittenberg 1956



1  Zu Poeppig vgl. Wilfried Morawetz / Martin Röser (Hrsg.), Eduard Friedrich Poeppig 1798-1868. Zum Vergleich zwischen Humboldt und Poeppig die Arbeit von Schmuck, a.a.O, S.145-175

2  Vgl. Seeberger in: Netzwerke des Wissens S.57-61

3  Brief aus Lima an N. Jacquin vom 5.6.1790, zit. n. Kühnel 156 bzw. 207

4  Brief vom 15.2.1800, zit. n. Kühnel (1960) S.59

5  Brief an Jacquin vom 5.6.1790, zit. n. Kühnel (1939) S.155

6  Brief an Born aus Lima vom 12.9.1790, zit. n. Kühnel (1960) S.40-41

7  Zu Haenkes botanischen Entdeckungen vgl. R. Gicklhorn S.103-108, Kühnel (1960) S.63

8  Sequoia semervirens; nach Schultze-Motel wurde der immergrüne Mammutbaum 1769 von Juan Crespi, einem Mitglied der Expedition von Caspar de Portola, erstmals beschrieben. Eine gültige wissenschaftliche Beschreibung erfolgte erst 1824 (Schultze-Motel S.324; dagegen R. Gicklhorn S.105).

9  Die zentral- und südperuanische Puya raimondi (Fam. Bromeliaceae, Ananasgewächse); die Zeichnungen Haenkes von Puya raimondi von 1794 aus der Cordillera von Sorata bringt R. Gicklhorn (Tafel 26, Abb.31-32).

10  Victoria amazonica (früher: Victoria regia) (Fam. Nympheaceae, Seerosengewächse); Haenke entdeckte sie 1801 am Rio Yacuma, einem Nebenfluß des Mamoré (Provinz Mojos, Bolivien); er starb vor der Veröffentlichung seiner Entdeckung. Der französische Botaniker Alcide d´Orbigny, der von Haenkes Begleiter La Cueva von der „Riesenpflanze„ erfuhr, suchte nach ihr und veröffentlichte 1840 den ersten ausführlichen Bericht über Victoria amazonica (vgl. R. Gicklhorn S.105 und Wagner S.4).

11  Wagner S.5

12  Vgl. Kühnel 81960) S.41

13  Vgl. Kühnel (1960) S.48

14  R. Gicklhorn S.108

15  Vgl. Verzeichnis der Bücher, so sich auf der Stube des Herrn Salinen=Assessors von Hardenberg befinden, in: Novalis, Sämtliche Werke Bd.1. Hrsg. v. Ernst Kamnitzer. München 1924, S.465






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