Protest gegen Aufforderung zum
Antiextremismusbekenntnis - Pirnaer Verein lehnt Demokratiepreis ab
Kleine Presseschau, übermittelt von Achim Schindler, Dresden
http://taz.de/1/politik/deutschland/artikel/1/annahme-verweigert/
taz 10.11.2010
Sächsischer Demokratiepreis
Annahme verweigert
Der Sächsische Demokratiepreis ist mit 10.000 Euro dotiert. In diesem Jahr
sollten die Preisträger vor der Verleihung eine "Anti-Extremismus-Erklärung"
abgeben.
VON MICHAEL BARTSCH
Da kann man ja lange warten: In diesem Jahr gab es in der Dresdner Frauenkirche
keine Demokratiepreisverleihung. Betroffene und wütende Gesichter gab es am
Dienstagabend in der Dresdner Frauenkirche. Der Grund: Das Alternative Kultur-
und Bildungszentrum Pirna AkuBiZ hatte kurzfristig die Annahme des mit 10.000
Euro dotierten Sächsischen Demokratiepreises verweigert. Die Preisverleihung
fiel nur deshalb nicht aus, weil der sächsische Ministerpräsident traditionell
noch einen Sonderpreis vergibt. Der Dresdner Verein "Bürger Courage"
nahm ihn entgegen.
Das AkuBiZ protestierte mit seiner Absage dagegen, dass das sächsische
Innenministerium von der Initiative verlangt hatte, eine Anti-Extremismus-Erklärung
abzugeben. Nach dem Willen von Bundesfamilienministerin Kristina Schröder (CDU)
sollen das ab 2011 alle Initiativen tun, die mit staatlichen Mitteln für ihr
Engagement für Demokratie und Menschenrechte gefördert werden.
Bereits im Vorfeld hatte die Staatsregierung von CDU und FDP in Sachsen
erfolglos versucht, Einfluss auf die Nominierung der zehn Endrundenteilnehmer zu
nehmen. "Der Staatsregierung wurde von der Jury ein gewisses Maß an
Toleranz abverlangt", sagte am Dienstagabend Regierungssprecher
Johann-Adolf Cohausz. Sein Unmut rührte offensichtlich daher, dass einige eher
links orientierte Initiativen für den Preis in Frage kamen, darunter das AkuBiZ.
Die umstrittene Erklärung verlangt ein Bekenntnis zur
freiheitlich-demokratischen Grundordnung, das die Demokratie-Initiativen
gleichfalls von allen ihren Partnern einholen sollen. Diese sollen
unterschreiben, "dass keinesfalls der Anschein erweckt werden darf, dass
eine Unterstützung extremistischer Strukturen durch die Gewährung materieller
oder immaterieller Leistungen Vorschub geleistet" werde.
Das AkuBiZ und das gleichfalls nominierte Leipziger Antidiskriminierungsbüro
wehren sich dagegen, dass ihre Bemühungen um Demokratie und Menschenrechte und
gegen rechts unter einen Extremismus-Generalverdacht geraten. "Die
Aufforderung an eine nichtstaatliche Initiative, ihre PartnerInnen auszuspähen,
erinnert eher an Methoden der Stasi und nicht an ein demokratisches
System", heißt es in einer Erklärung.
Die eigentlich für die Laudatio vorgesehene zweimalige Bundespräsidentschaftskandidatin
Gesine Schwan (SPD) argumentierte in der Frauenkirche ähnlich. An die
Staatsregierung gerichtet, stellte sie die Extremismustheorie in Frage, als sie
auf die weite Verbreitung rassistischer und nationalistischer Anschauungen in
der Mitte der Gesellschaft verwies. Die Gesinnungsprüfung befördere "eine
Kultur des Misstrauens, die im Gegensatz zur Demokratie steht". So werde
Demokratie abgewürgt. "Ich wäre froh, wenn die Staatsregierung mehr
Vertrauen in die Demokratie hätte!"
Linke und SPD im Landtag wandten sich gleichfalls gegen die Extremismusklausel.
"Formulieren Sie belegbare Anschuldigungen oder schweigen Sie ganz!",
forderte der Grüne Miro Jennerjahn den Verfassungsschutz auf. Anetta Kahane von
der Amadeu Antonio Stiftung, eine der vier Preisstifter, zeigte sich in beiden
Richtungen zornig. Sowohl die verlangte Erklärung als auch das Verhalten des
AkuBiZ fand sie "unmöglich". Auch Christian Demuth von "Bürger
Courage" zeigte sich verärgert, dass die Preisverleihung zum Kampfplatz
der Extremismusdiskussion wird. "Das ist das Ende des
Demokratiepreises."
http://taz.de/1/debatte/kommentar/artikel/1/denunzierte-demokraten/
taz 10.11.2010
Kommentar sächsischer Demokratiepreis
Denunzierte Demokraten
KOMMENTAR VON MICHAEL BARTSCH
Die ach so Christlich-Konservativen sollten sich wieder einmal an die
Bergpredigt Matthäus 7 erinnern. Da ist vom Splitter im Auge des anderen und
vom Balken im eigenen die Rede.
Man kann keinen sächsischen oder anderen Demokratiepreis vergeben und dann der
Jury hineinreden wollen, weil ihre Auswahl zu linkslastig erscheint. Und man
kann erst recht nicht wie die CDU-FDP-Regierungen in Dresden und Berlin
versuchen, die preiswürdigen Initiativen auf eine Extremismusklausel
festzunageln, mit der sie in ihrer Arbeit nichts anfangen können. Denn jene
rassistischen und nationalistischen Anschauungen, die man pharisäerhaft gern an
die extremistischen Ränder delegiert, gedeihen genau auch in der bürgerlichen
Mitte. Es ist schäbig, ausgerechnet diejenigen unter den Generalverdacht der
Verfassungsfeindlichkeit zu stellen, die an der Demokratiefront den Kopf
hinhalten. Das ist in vielen Fällen leider wörtlich gemeint, denn von Übergriffen
berichten fast alle sächsischen Preiskandidaten. Diese Zivilcouragierten
bewirken mehr als alle Fensterreden der Krawattennadelklasse. Sie stellen
allerdings auch die höheren Güter Humanismus und Menschenrechte über die Irrtümer
des Verfassungsschutzes.
Der sächsische Eklat, die Verweigerung des zugedachten Preises durch das
Alternative Kultur- und Bildungszentrum Pirna wegen der verlangten
Extremismuserklärung, sollte der zuständigen Bundesfamilienministerin Kristina
Schröder zu denken geben. Wenn sie flächendeckend solche Verpflichtungserklärungen
wie in Sachsen einführt, wird sie die gefährlichen Gestalten von rechts und
vielleicht auch links kaum treffen. Das zivile Engagement für Demokratie aber würde
denunziert und gespalten.
Nicht in der Sache, aber in der Form sollten auch die Pirnaer Preisträger ihr
Verhalten prüfen. Die kurzfristige Rücknahme einer bereits geleisteten
Unterschrift unter die Erklärung hat die Preisstifter zu Recht verärgert.
![]() oben: Sächsische Zeitung 11.11.2010 rechts: Sächsische Zeitung 11.11.2010 |
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