Ein Foto vom Flohmarkt
Am 1. September 1939 Jahren überfiel das faschistische Deutschland Polen
A Photo Print from a Rag Fair
written on the 60
th anniversary of the German fascist invasion to Poland and the beginning of the World War II at September 1, 1939

Kosciuzcko--Statue auf dem Plac Wolnosci in Lodz


Der auf dem Flohmarkt erstandene, 6,5x9 cm große Kontaktabzug zeigt das Kościuszko-Standbild auf dem Plac Wolności in Lodz, wo es von 1930 bis zu seiner Zerstörung 1939 stand.

This photo print was been acquired on a rag fair in Hamburg. It shows the Tadeusz Kościuszko statue on the Plac Wolności in the Lodz City, where it was been being since 1930 till its destruction in 1939.
The size of the original copy: 6,5 x 9 cm


Flohmarkt in Hamburg

Auf einem Flohmarkt in der Rothenbaumchaussee in Hamburg im April 1999 kramte ich aus einem Karton eine Handvoll Fotos heraus, feilschte nicht lange und erstand sie für 5 DM. Unter diesen Schwarzweiß-Bildern befand sich auch die oben wiedergegebene kleine Aufnahme. Im Jahr 1940 hatte irgendjemand, vielleicht ein Wehrmachtssoldat, im polnischen Lodz dieses Foto vom Rathaus aus aufgenommen. Einen Abzug davon schickt er seinen Angehörigen in Deutschland. Er glaubte, ihnen damit etwas Aufregendes mitteilen zu müssen.

Was erkennt man auf dem Foto? Eine Gruppe Männer hat mit einer Leiter den hohen Sockel eines Denkmals erklommen.
Mit Kopierstift hat der unbekannte Fotograf auf der Bildrückseite das Ereignis kommentiert. Lakonisch und plump heißt es da: "Freiheitsstatue Deutschlandplatz. Die Leute drauf sind Juden und bereiten Sprenglöcher vor / heute ist der Platz leer / verschwunden ist das Denkmal / Lodsch 1940."


Demütigung des polnischen Nationalgefühls - Zerstörung von Kulturgütern

1939 überfiel Hitlerdeutschland das Nachbarland Polen. Der zweite Weltkrieg begann. Binnen drei Wochen hat die Wehrmacht das Nachbarland überrollt und jeglichen militärischen Widerstand gebrochen.

Was war das für ein Denkmal, das die Nazis offenbar kurz nach der Besetzung Lodzs zerstören ließen? Um das beantworten zu können, begab ich mich ins Internet und erfuhr auf polnischen Seiten sehr rasch ein paar wichtige Daten über das Schicksal des Standbilds. Aber nicht nur das. Ich begriff, dass die Sprengung der polnischen Nationaldenkmäler nur zu den ersten eiligen Maßnahmen zur moralischen Vernichtung polnischen Nationalbewusstseins sowie der Zerstörung der polnischen Kultur überhaupt gehörte. Einher gingen diese mit äußerster Rücksichtslosigkeit und Hast ausgeführten Anordnungen, mit ersten Schritten zur Auslöschung der jüdischen Gemeinden Polens, die ihren Auftakt fanden in gewalttätigen Ausschreitungen gegenüber jüdischen Bürgern, in willkürlichen Erschießungen und Plünderungen. Auch viele antisemitisch eingestellte Polen beteiligten sich an den Misshandlungen und Plünderungen.

Bernt Engelmann lässt in seinem Buch "Bis alles in Scherben fällt" eine Lodzer Zeitzeugin über Geschehnisse zu Wort kommen, die sich unmittelbar nach der Besetzung der Stadt durch die Wehrmacht am 8./9. September ereigneten: "Zunächst waren es die Volksdeutschen, die an allen ihnen bekannten polnischen Patrioten die furchtbarsten Greuel verübten. Menschen wurden aus den Fenstern gestürzt, auf der Straße erschlagen und buchstäblich in Stücke zerrissen, in Abortgruben ertränkt oder an Laternen aufgehängt. Dann kamen die ersten Berichte über Judenverfolgungen, an denen sich auch die deutschen Soldaten beteiligten: Jüdische Geschäfte wurden geplündert, Männern auf der Straße der Bart abgeschnitten, Rabbiner misshandelt, Frauen vergewaltigt und deren Angehörige, die sie schützen wollten, mit dem Gewehrkolben niedergeschlagen. ... Aber das war nur der Anfang: Schon drei Tage nach dem Einmarsch begann ein sogenanntes Einsatzkommando der SS, mit vorbereiteten Listen Angehörige der polnischen Oberschicht 'abzuholen': Ärzte, Anwälte, Direktoren, Lehrer, pensionierte Offiziere und katholische Geistliche. Zusammen mit den inzwischen zu 'Hilfspolizisten' ernannten Volksdeutschen erschoss die SS die Festgenommenen ohne Gerichtsverfahren! Es müssen Hunderte gewesen sein, die in diesen Tagen allein in Lodz verschleppt und umgebracht worden sind. Bald hörten wir auch von Erschießungen prominenter Juden durch die SS."

On the backside of the same photo the unknown photographer signed with a blue color pen his comment


Mit Kopierstift kommentierte der unbekannte Fotograf
auf der Bildrückseite das Ereignis:

Freiheitsstatue Deutschlandplatz.
Die Leute drauf sind Juden und bereiten
Sprenglöcher vor / heute ist der Platz
leer / verschwunden ist das Denkmal
Lodsch 1940
The unknown photographer signed on the photo backside:
The statue of Liberty on Deutschlandplatz [the new square's name from november 1939]. The people on the photo are Jews, which are preparing blasting holes. Today the square is blank, the monument is vanished. Lodsch 1940


Die Vernichtung der polnischen Juden

In Lodz bestand damals die nach Warschau zweitgrößte jüdische Gemeinde Europas. 230 000 Menschen. Am 14. September 1939, sechs Tage nach der Besetzung von Lodz, begehen die Juden Rosh Hashanah, ihr Neujahrsfest. An diesem Tag ordnen die Besatzer an, die Synagogen geschlossen und alle Geschäfte offen zu halten. Während um Warschau noch gekämpft wird, bekommen so die Juden von Lodz die ersten administrativen Stockschläge zu spüren. Am 7. November wird die Stadt dem Nazireich eingegliedert und in Litzmannstadt umgetauft. Ab dem 16. November müssen die jüdischen Einwohner Armbinden tragen, ab dem 12. Dezember den Davidstern. Gouverneur Friedrich Übelhör verplant am 10. Dezember in einem geheimen Memorandum das kommende Schicksal der Juden Lodzs. Ein Getto sei einzurichten, bis die "Judenfrage gelöst" sei ...
Lediglich 877 Menschen haben in Lodz die "Lösung der Judenfrage" überlebt.

Das Standbild nach seiner Sprengung (Foto aus dem Archiv des Museums für Stadtgeschichte Lodz) --- After the blasting (archiv of City of Lodz History Museum)

Die Nazis zwangen jüdische Einwohner,  das Denkmal
in der Nacht vom 10. zum 11. November 1939 zu sprengen
und seine Trümmer zu beseitigen.
Das beschädigte Bild zeigt das Standbild nach der Sprengung.

Foto aus dem Archiv des Museums für Stadtgeschichte Lodz. Dr. Marek Budziarek vom Museum verdanke ich nicht nur die hier wiedergegebene Fotografie, sondern auch weitere Hinweise zur Sache.

The Nazis pressed Jewish inhabitants of Lodz to blow up the statue in the
night from 10th to 11th November 1939. The photo shows the monument after the blasting.
Photo print from the archiv of the City of Lodz History Museum. I am obliged to Dr Marek Budziarek from this museum for his information and for the here reproduced photography.


Ein polnisches Nationaldenkmal

Portrait Koscziuczko Auf dem heutigen Plac Wolności in Lodz, dem Freiheitsplatz, stand eine Statue für Tadeusz Kościuszko (1746-1817), den polnischen Nationalhelden. 1930 war sie nach Entwürfen von Mieczyslaw Lubelski errichtet worden. Die deutsche Besatzungsmacht ließ das Tadeusz-Kościuszko-Standbild, wie mir das Lodzer Stadtmuseum im Jahr 2000 mitteilte, in der Nacht vom 10. zum 11. November 1939 sprengen. Dass sie das ausgerechnet von Juden ausführen ließ, die bei den vielen antisemtisch eingestellten Polen ohnehin keine Sympathie genaßen, gehört zur absichtsvollen Perfidie der Nazis. Die Sprengung aber war nur ein kleines Vorspiel. Was in Lodz folgen sollte, gehört zu den brutalsten Völkermordaktionen des deutschen Faschismus. 

Die Ölporträt Kościuszkos von J. Mecina Krzesz (1909, Krakow)
Nach einer Postkarte von ca. 1920
Oil painting by J. Mecina Krzesz (1909, Krakow) 

  1960 wird das Denkmal auf dem Plac Wolności in Lodz an der alten Stelle wiedererrichtet. Dr. Budziarek vom Lodzer Museum für Stadtgeschichte (Muzeum Historii Miasta Lodzi) übersandte mir im April 2000 einige Ansichtskarten, die den Platz von heute zeigen. Ich gebe aber nebenstehend eine Postkarte aus dem Jahr 1967 wieder, die ich bei einer polnischen Online-Auktion angeboten fand. 




Die heutige Ansicht des
Plac Wolności mit dem Kościuszko-Standbild,
Ansichtskarte von 1967

Łódź. Pomnik Tadeusza Kościuszki,
 1967 rok

The present view of the Plac Wolności (Square of Liberty)
with the Kościuszko statue, re-erected in 1960;
postcard printed in the year 1967


Nachtrag

Bernt von Kügelgen, der 1942 als 28-jähriger Leutnant in sowjetische Kriegsgefangenschaft geriet und schließlich nach einem langen Prozess des Umdenkens zu einem der Mitbegründer des Nationalkomitees Freies Deutschland wurde, schreibt in seinen 1984 veröffentlichten Lebenserinnerungen "Die Nacht der Entscheidung" von einem ganz gleichen Fall in Krakow 1939 (den Hinweis auf diesen Fall verdanke ich dem Hamburger Historiker Hans-Kai Möller).
"Ich sah mich auf dem Marktplatz in Krakau. Unsere 257. Infanteriedivision war zugleich nach Beendigung der Kampfhandlungen in Frankreich in den Raum Tarnow-Gorlice verlegt worden. Wir Unteroffiziere der 7. Kompanie unternahmen einen Ausflug zur Besichtigung der alten Universitätsstadt und in die Hohe Tatra. Meine Kumpel hatten es sich nach der Stadtführung in einem Soldatencafé gemütlich gemacht. Ich stromerte noch allein durch die Straßen. Eine Menschenmenge am Markt weckte mein Interesse. Ich trat hinzu und beobachtete eine Gruppe damit beschäftigt, ein Denkmal abzureißen. Es war das Standbild von Tadeusz Kościuszko. Kurz zuvor hatte uns die Stadtführerin zu ihm gebracht und erläutert, dass er vor fast anderthalb Jahrhunderten einen Bauernaufstand gegen die Russen und die Preußen geleitet habe und Polens großer Nationalheld sei. Jetzt lag das Denkmal auf der Erde. Mit einem Flaschenzug war es vom Sockel gehoben worden. Ärmliche Kaftanjuden, mit langen Bärten und krummen Rücken, bemühten sich, die Steinquader auseinanderzureißen. Feldpolizei bewachte die Arbeit. Mehr als die jüdischen Elendsgestalten berührten mich die Polen. Sie standen in Gruppen entlang den Häusern und sahen zu, stumm und starr. Fast körperlich spürte ich die Bewegung der Reglosigkeit, den Lärm des Schweigens, den verbissenen Protest. Ist es wirklich notwendig, dachte ich, dem polnischen Volk diesen Schmerz zuzufügen? Das wird nur die Selbstherrlichkeit eines wildgewordenen Stadtkommandanten sein, beruhigte ich mich und ging fort."

Autor: René Senenko. Hamburg ...........................

Weiterführende Literatur:
- Engelmann, Bernt: Bis alles in Scherben fällt. Wie wir die Nazizeit erlebten. Band 2. Steidl-Verlag Göttingen 1993. Den Zeitzeugenbericht im obigen Text habe ich der Taschenbuchausgabe dieses Buches aus selbigen Verlag, 1997, S. 188f, entnommen. 
- Kügelgen, Bernt von: Die Nacht der Entscheidung - Erinnerung an Familie und Jugend. Verlag der Nation Berlin/DDR 1984. Das Buch erschien auch im Pahl-Rugenstein-Verlag Köln 1984 unter dem Titel: Die Nacht der Entscheidung - Der Weg eines deutschen Offiziers zum Nationalkomitee Freies Deutschland. Eine Autobiographie; 494 S., s/w-Fotos
- Zorn, Gerda (Hamburg): Nach Ostland geht unser Ritt. Deutsche Eroberungspolitik und die Folgen - Das Beispiel Lodz. 2. Auflage bei Röderberg im Rahl-Rugenstein-Verlag Köln, 1988, 214 S., s/w-Fotos, Faksimiles, Karten


Summary

After the German attack against Poland at september 1, 1939, the Wehrmacht troops hurried to destroy polish national monuments to break the polish national identity and culture. And since first day after the occupation of Lodz the nazis was been taking measures to eliminate the Jewish community of Lodz, - the second largest Jewish community of Europe. Jews became targets for beatings, robberies, and seizure of property. Besides the nazi occupants in Lodz forced Jews to blaste the Kościuszko statue in the Lodz City.
During a rag fair in Hamburg in April 1999 I was buying some black-and-white photo prints. Among them there was the little photo (above). This picture shows some men working on a monument pedestal. This monument, the Tadeus Kościuszko statue on the Plac Wolności (square of liberty ), was destroyed by an nazi order in the night from 10th to 11th November 1939. The unknown photographer has remarked on the photo backside some words: "The statue of Liberty on Deutschlandplatz [new square name from november 1939]. The people on the photo are Jews, which are preparing blasting holes. In today the square is blank, the monument is vanished. Lodsch 1940". The blasting of a central monument in Lodz was one of first steps of the fascist occupation measures.
In the year 1960 this monument was re-erected on the Plac Wolnościin Lodz.in Lodz.

René Senenko, Hamburg.
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