Ein Foto vom Flohmarkt
Am 1. September 1939 Jahren überfiel das
faschistische Deutschland Polen
A Photo Print from a Rag Fair
written on the 60th anniversary of the German fascist invasion to
Poland and the beginning of the World War II at September 1, 1939
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Flohmarkt in Hamburg
Auf einem Flohmarkt in der Rothenbaumchaussee in Hamburg
im April 1999 kramte ich aus einem Karton eine Handvoll
Fotos heraus, feilschte nicht lange und erstand sie für 5 DM.
Unter diesen Schwarzweiß-Bildern befand sich auch die oben
wiedergegebene kleine Aufnahme. Im Jahr 1940 hatte irgendjemand,
vielleicht ein Wehrmachtssoldat, im polnischen Lodz dieses Foto
vom Rathaus aus aufgenommen. Einen Abzug davon schickt er seinen
Angehörigen in Deutschland. Er glaubte, ihnen damit etwas
Aufregendes mitteilen zu müssen.
Was erkennt man auf dem Foto? Eine Gruppe Männer hat mit einer
Leiter den hohen Sockel eines Denkmals erklommen. Mit
Kopierstift hat der unbekannte Fotograf auf der Bildrückseite
das Ereignis kommentiert. Lakonisch und plump heißt es da:
"Freiheitsstatue Deutschlandplatz. Die Leute drauf
sind Juden und bereiten Sprenglöcher vor / heute ist der Platz
leer / verschwunden ist das Denkmal / Lodsch 1940."
Demütigung des polnischen Nationalgefühls - Zerstörung
von Kulturgütern
1939 überfiel Hitlerdeutschland das Nachbarland Polen. Der zweite Weltkrieg begann.
Binnen drei Wochen hat die Wehrmacht das Nachbarland überrollt
und jeglichen militärischen Widerstand gebrochen.
Was war das für ein Denkmal, das die Nazis
offenbar kurz nach der Besetzung Lodzs zerstören ließen? Um das
beantworten zu können, begab ich mich ins Internet und erfuhr auf
polnischen Seiten sehr rasch ein paar wichtige Daten über das
Schicksal des Standbilds. Aber nicht nur das. Ich begriff, dass
die Sprengung der polnischen Nationaldenkmäler nur zu den ersten
eiligen Maßnahmen zur moralischen Vernichtung polnischen Nationalbewusstseins sowie
der Zerstörung der polnischen Kultur überhaupt gehörte.
Einher gingen diese mit äußerster Rücksichtslosigkeit und Hast
ausgeführten Anordnungen, mit ersten Schritten zur Auslöschung
der jüdischen Gemeinden Polens, die ihren Auftakt fanden in
gewalttätigen Ausschreitungen gegenüber jüdischen Bürgern, in willkürlichen Erschießungen und
Plünderungen. Auch viele
antisemitisch eingestellte Polen beteiligten sich an den Misshandlungen und Plünderungen.
Bernt Engelmann lässt in seinem Buch "Bis alles in Scherben fällt"
eine Lodzer Zeitzeugin über Geschehnisse zu Wort kommen, die sich unmittelbar nach
der Besetzung der Stadt durch die Wehrmacht am 8./9. September ereigneten:
"Zunächst waren es die Volksdeutschen, die an allen ihnen bekannten
polnischen Patrioten die furchtbarsten Greuel verübten. Menschen wurden aus den
Fenstern gestürzt, auf der Straße erschlagen und buchstäblich in Stücke
zerrissen, in Abortgruben ertränkt oder an Laternen aufgehängt. Dann kamen die
ersten Berichte über Judenverfolgungen, an denen sich auch die deutschen
Soldaten beteiligten: Jüdische Geschäfte wurden geplündert, Männern auf der
Straße der Bart abgeschnitten, Rabbiner misshandelt, Frauen vergewaltigt und
deren Angehörige, die sie schützen wollten, mit dem Gewehrkolben
niedergeschlagen. ... Aber das war nur der Anfang: Schon drei Tage nach dem
Einmarsch begann ein sogenanntes Einsatzkommando der SS, mit vorbereiteten
Listen Angehörige der polnischen Oberschicht 'abzuholen': Ärzte, Anwälte,
Direktoren, Lehrer, pensionierte Offiziere und katholische Geistliche. Zusammen
mit den inzwischen zu 'Hilfspolizisten' ernannten Volksdeutschen erschoss die SS
die Festgenommenen ohne Gerichtsverfahren! Es müssen Hunderte gewesen sein, die
in diesen Tagen allein in Lodz verschleppt und umgebracht worden sind. Bald
hörten wir auch von Erschießungen prominenter Juden durch die SS."
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Die Vernichtung der polnischen
Juden
In Lodz bestand damals die nach Warschau
zweitgrößte jüdische Gemeinde Europas. 230 000 Menschen. Am
14. September 1939, sechs Tage nach der Besetzung von Lodz,
begehen die Juden Rosh Hashanah, ihr Neujahrsfest. An
diesem Tag ordnen die Besatzer an, die Synagogen geschlossen und
alle Geschäfte offen zu halten. Während um Warschau noch
gekämpft wird, bekommen so die Juden von Lodz die ersten
administrativen Stockschläge zu spüren. Am 7. November wird die
Stadt dem Nazireich eingegliedert und in Litzmannstadt umgetauft. Ab
dem 16. November müssen die jüdischen Einwohner Armbinden
tragen, ab dem 12. Dezember den Davidstern. Gouverneur Friedrich
Übelhör verplant am 10. Dezember in einem geheimen Memorandum
das kommende Schicksal der Juden Lodzs. Ein Getto sei
einzurichten, bis die "Judenfrage gelöst" sei ...
Lediglich 877 Menschen haben in Lodz
die "Lösung der Judenfrage" überlebt.
Die
Nazis zwangen jüdische Einwohner, das Denkmal |
Ein polnisches Nationaldenkmal
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Auf dem heutigen Plac
Wolności in Lodz,
dem Freiheitsplatz, stand eine Statue für Tadeusz Kościuszko
(1746-1817), den polnischen Nationalhelden. 1930 war sie nach
Entwürfen von Mieczyslaw Lubelski errichtet worden. Die deutsche
Besatzungsmacht ließ das
Tadeusz-Kościuszko-Standbild, wie mir das Lodzer
Stadtmuseum im Jahr 2000 mitteilte, in der Nacht vom 10. zum 11. November 1939
sprengen. Dass sie das ausgerechnet von Juden ausführen ließ, die bei
den vielen antisemtisch eingestellten Polen ohnehin keine Sympathie
genaßen, gehört zur absichtsvollen Perfidie der Nazis. Die Sprengung aber war nur ein kleines Vorspiel. Was
in Lodz folgen sollte, gehört zu den brutalsten
Völkermordaktionen des deutschen Faschismus. Die Ölporträt Kościuszkos
von J. Mecina Krzesz (1909, Krakow) |
1960 wird das Denkmal auf dem Plac
Wolności in Lodz an der alten Stelle wiedererrichtet. Dr.
Budziarek vom Lodzer Museum für Stadtgeschichte (Muzeum
Historii Miasta Lodzi) übersandte mir
im April 2000 einige Ansichtskarten, die den Platz von heute
zeigen. Ich gebe aber nebenstehend eine Postkarte aus dem Jahr 1967
wieder, die ich bei einer polnischen Online-Auktion angeboten fand. |
![]() Die heutige Ansicht des Plac Wolności mit dem Kościuszko-Standbild, Ansichtskarte von 1967 Łódź. Pomnik Tadeusza Kościuszki, 1967 rok The present view of the Plac Wolności (Square of Liberty) with the Kościuszko statue, re-erected in 1960; postcard printed in the year 1967 |
Nachtrag
Bernt von Kügelgen, der 1942 als
28-jähriger Leutnant in sowjetische Kriegsgefangenschaft geriet
und schließlich nach einem langen Prozess des Umdenkens zu einem
der Mitbegründer des Nationalkomitees Freies Deutschland wurde,
schreibt in seinen 1984 veröffentlichten Lebenserinnerungen
"Die Nacht der Entscheidung" von einem ganz gleichen
Fall in Krakow 1939 (den Hinweis auf diesen Fall verdanke ich dem Hamburger
Historiker Hans-Kai Möller).
"Ich sah mich auf dem Marktplatz in Krakau. Unsere 257.
Infanteriedivision war zugleich nach Beendigung der
Kampfhandlungen in Frankreich in den Raum Tarnow-Gorlice verlegt
worden. Wir Unteroffiziere der 7. Kompanie unternahmen einen
Ausflug zur Besichtigung der alten Universitätsstadt und in die
Hohe Tatra. Meine Kumpel hatten es sich nach der Stadtführung in
einem Soldatencafé gemütlich gemacht. Ich stromerte noch allein
durch die Straßen. Eine Menschenmenge am Markt weckte mein
Interesse. Ich trat hinzu und beobachtete eine Gruppe damit
beschäftigt, ein Denkmal abzureißen. Es war das Standbild von
Tadeusz Kościuszko. Kurz zuvor hatte uns die Stadtführerin zu
ihm gebracht und erläutert, dass er vor fast anderthalb
Jahrhunderten einen Bauernaufstand gegen die Russen und die
Preußen geleitet habe und Polens großer Nationalheld sei. Jetzt
lag das Denkmal auf der Erde. Mit einem Flaschenzug war es vom
Sockel gehoben worden. Ärmliche Kaftanjuden, mit langen Bärten
und krummen Rücken, bemühten sich, die Steinquader auseinanderzureißen. Feldpolizei bewachte die Arbeit. Mehr als
die jüdischen Elendsgestalten berührten mich die Polen. Sie
standen in Gruppen entlang den Häusern und sahen zu, stumm und
starr. Fast körperlich spürte ich die Bewegung der
Reglosigkeit, den Lärm des Schweigens, den verbissenen Protest.
Ist es wirklich notwendig, dachte ich, dem polnischen Volk diesen
Schmerz zuzufügen? Das wird nur die Selbstherrlichkeit eines
wildgewordenen Stadtkommandanten sein, beruhigte ich mich und
ging fort."
Autor: René Senenko. Hamburg | ........................... |
Weiterführende Literatur:
- Engelmann, Bernt: Bis alles in Scherben fällt. Wie wir die Nazizeit erlebten.
Band 2. Steidl-Verlag Göttingen 1993. Den Zeitzeugenbericht im obigen Text
habe ich der Taschenbuchausgabe dieses Buches aus selbigen Verlag, 1997, S.
188f, entnommen.
- Kügelgen, Bernt von: Die Nacht der Entscheidung - Erinnerung
an Familie und Jugend. Verlag der Nation Berlin/DDR 1984. Das
Buch erschien auch im Pahl-Rugenstein-Verlag Köln 1984 unter dem
Titel: Die Nacht der Entscheidung - Der Weg eines deutschen
Offiziers zum Nationalkomitee Freies Deutschland. Eine
Autobiographie; 494 S., s/w-Fotos
- Zorn, Gerda (Hamburg): Nach Ostland geht unser Ritt. Deutsche
Eroberungspolitik und die Folgen - Das Beispiel Lodz. 2. Auflage
bei Röderberg im Rahl-Rugenstein-Verlag Köln, 1988, 214 S.,
s/w-Fotos, Faksimiles, Karten
Summary
After the German attack against Poland at september 1, 1939,
the Wehrmacht troops hurried to destroy polish national monuments
to break the polish national identity and culture. And since first day
after the occupation of Lodz the nazis was been taking measures
to eliminate the Jewish community of Lodz, - the second largest
Jewish community of Europe. Jews became targets for beatings, robberies, and seizure of
property. Besides the nazi occupants in
Lodz forced Jews to blaste the Kościuszko statue in the Lodz
City.
During a rag fair in Hamburg in April 1999 I was buying some black-and-white
photo prints. Among them there was the little
photo (above). This
picture shows some men working on a monument pedestal. This monument, the Tadeus
Kościuszko statue on the Plac
Wolności
(square of liberty ), was destroyed by an nazi order in the night
from 10th to 11th November 1939. The unknown photographer has
remarked on the photo backside some words: "The statue of
Liberty on Deutschlandplatz [new square name from november 1939].
The people on the photo are Jews, which are preparing blasting holes. In today the square is blank, the monument is
vanished.
Lodsch 1940". The blasting of a central monument in Lodz was
one of first steps of the fascist occupation measures.
In the year 1960 this monument was re-erected on the Plac
Wolnościin Lodz.in Lodz.
René Senenko, Hamburg.
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© 1999/2000 by René Senenko