Fotos nko
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15.
März 2012
Kurzstück
und Podiumsdiskussion im Kölibri auf St. Pauli
35 Besucher sahen mit Begeisterung am Beginn des Abends den
engagierten Auftritt des Schauspielteams
"Antikriegsambulanz" mit ihrem Stück
"Kriegsgericht". Wir berichteten hier mehrfach über
dieses Stück. Sehr bewegend der Auftritt des Schauspielers Wolf
Wempe, der den angeklagten Fahnenflüchtigen verkörperte.
Sicher zu Recht fragte anschließend Heinrich-Otte Patzer, der
die FDP vertrat, in die Runde, ob man das Stück nicht vor allem
an Schulen spielen sollte.
Spannend wurde es in der sich anschließenden Podiumsdiskussion,
die Georg Chodinski für das "Bündnis für ein Hamburger
Deserteursdenkmal" moderierte. Im Mittelpunkt stand hier
die Frage, ob Hamburg ein Deserteursdenkmal brauche und welche Impulse hierfür vom Bezirk Mitte
ausgehen könnten. Gekommen waren
Abgeordnete der Bezirksparlaments von Hamburg-Mitte, der Leiter
der Gedenkstätte Neuengamme Dr. Detlef Garbe und der
Vorsitzende des Hamburger Kulturausschusses Norbert
Hackbusch.
In seiner äußerst sachkundigen Einführung bemerkte Detlef
Garbe: "Ich weiß nicht, ob den Veranstaltern bei der
heutigen Terminwahl bewusst war, dass heute auf den Tag genau
vor 76 Jahren, am 15. März 1936, das Kriegerdenkmal am
Stephansplatz eingeweiht wurde." Mit diesem Satz gab er
zugleich das Stichwort für die in der nachfolgenden Diskussion
immer wieder vorgeschlagene Verknüpfung des
kriegsverherrlichenden 76er Denkmals und des ausstehenden
Gedenkens an die hingerichteten Wehrmachtsdeserteure. Detlef
Garbe machte deutlich, dass in Hamburg bis heute - auch unter
Historikern - das Ausmaß der blutigen Wehrmachtsjustiz in der
Hansestadt nahezu unbekannt sei.
Norbert Hackbusch, Vorsitzender des Kulturausschusses, stellte
das Bemühen seines Kulturgremiums vor, an diesem Manko etwas zu
ändern. So werde es am 19. April zu einer Expertenanhörung im
Ausschuss kommen, wo beide Fragen - wenn auch vorläufig
getrennt - behandelt würden: Umgang mit dem
"Kriegsklotz" (wie das 76er Ehrenmal landläufig
genannt wird) und Schaffung eines Deserteursdenkmals. Vom
Ausgang dieses Hearings hänge das weitere Vorgehen in dieser
Sache ab.
Jutta Kordzynski (geb. 1948) von der GAL-Fraktion betonte, man
stoße bei ihr offene Türen ein, was das Gedenken an die
Wehrmachtsdeserteure anginge, doch halte sie den vorgeschlagenen
Ort am Stephansplatz für ungeeignet, da dieser Platz - so ihre
Wahrnehmung - nur von eilenden Passanten frequentiert werde.
Falko Droßmann (39 J.), Vorsitzender der SPD-Fraktion und vom
Beruf Bundeswehroffizier, gab sich in punkto Gedenken
aufgeschlossen, verschwieg aber nicht die Ambivalenz der
Deserteursthematik in unserem Lande. Natürlich sehe er als
Offizier, dass ein Deserteursdenkmal auch ein Signal an heutige
Soldaten wäre. Dennoch befürworte er ein Deserteursdenkmal. Als
Lokalpolitiker gab er außerdem zu bedenken, dass der Bezirk
für die Pflege seiner Denkmäler lediglich 10.000 Euro zur
Verfügung hätte, für die 96 Denkmäler des Bezirks ein viel
zu geringer Etat. Bernhard Stietz-Leipnitz (61 J.) von der
Fraktion Die Linke sah es grundsätzlicher. Vor zwanzig Jahre hätte
er den Kriegsklotz gerne in die Luft gejagt. Obwohl er auch heute gegen jeden Krieg
sei, wolle
er das Denkmal - wenn auch kommentiert - erhalten wissen.
Stietz-Leipnitz sieht
die Fläche zwischen dem Kriegsklotz und der Denkmalsgruppe von
Alfred Hrdlicka als idealen Raum für eine immerwährende
Auseinandersetzung an, gerade hier! Welcher Platz verkörpere
denn jüngste deutsche Geschichte so wie dieser Rasenstreifen? Auch Heinrich-Otto Patzer (72 J.),
der die FDP vertrat, reklamierte die Notwendigkeit eines Denkmals für die
Opfer der Wehrmachtsgerichte, machte aber - ähnlich wie Falko
Droßmann - die Klärung der Pflegezuständigkeit geltend. Es
könne nicht angehen, wieder ein Denkmal hinzustellen und die
Folgekosten dem Bezirk aufzubürden.
Auch Hans Rüther (69 J.) und Franz-Josef Peine
(77 J.) von der "Antikriegsambulanz" und Helga Obens
vom Auschwitzkomitee beteiligten sich
an der lebhafter werdenden Diskussion. Hans Rüther kritisierte
den Verweis auf kriminelle Elemente unter den Deserteuren.
Angesichts des millionenfachen Mords an den Juden verbiete sich
solch eine Argumentation. Franz-Josef Peine erinnerte sich an
seine Jugendzeit nach dem Krieg, als führende Politiker wie Adenauer und Strauß
jede Wiederbewaffnung der Bundesrepublik abgelehnt hatten,
später diese dann jedoch selber vorangetrieben hätten. Der
Kriegsklotz, warf Helga Obens ein, stehe nunmal an exponierter
Stelle - am Dammtorbahnhof - und vermittle den Besuchern der
Stadt das Bild, Hamburg ist eine Stadt der Krieger. Das
Hrdlicka-Werk dagegen verschwinde im Dunkeln, bleibe unsichtbar.
Die Stadt und dieser Platz braucht, so Helga Obens, ein
wirkliches Gegendenkmal, das die Dominanz des Kriegsklotzes breche
und deutlich das Erscheinungsbild ändere: Die Botschaft müsse
sein: Hamburg, die demokratische und weltoffene Metropole!
René
Senenko vom Bündnis für ein Deserteursdenkmal lud die
anwesenden Abgeordneten ein, bei der nächsten großen
Veranstaltung des Bündnisses am Kriegsklotz, die am 12.
Mai stattfinde, zum Publikum zu sprechen und so ihre Position noch einmal in
einem größeren öffentlichen Rahmen darzulegen. Georg
Chodinski stellte abschließend fest, dass die meisten
angesprochenen Probleme und Themen hier nur angerissen werden
konnten, aber die Notwendigkeit eines Denkmals für die
Opfer der Wehrmachtsgerichte in Hamburg sei von allen anwesenden
Gästen unisono und unmissverständlich erkannt worden.
Auch der Autor dieser Zeilen hatte den Eindruck einer
erstaunlich einvernehmlichen Position aller Abgeordneten in der
wichtigsten Frage. nko
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