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18.
Oktober bis
19. November 2011
Themenwochen:
«Entfernung
von der Truppe»
/ «Erschossen
in Höltigbaum: Kurt Elvers»
/
«Aufklärung und Protest»
/ «Jeden
Drückeberger trifft ohne
Gnade das gleiche Schicksal»
Gleich
drei Veranstaltungsreihen widmeten sich in Hamburg über einen
Zeitraum von mehr als vier Wochen (18. Oktober bis 19. November)
der mörderischen Praxis der Hamburger Wehrmachtsgerichte und
den Hamburger Kriegerdenkmälern. Die gemeinsame Bewältigung
zweier auf den ersten Blick verschiedener Themenkreise macht in
Hamburg Sinn. Denn während sich unsere Hansestadt noch immer ein äußerst dominantes kriegsverherrlichendes
Denkmal leistet (das «76er
Ehrenmal»
im Stadtzentrum), gibt es für die vielen Opfer der
Wehrmachtsgerichte weiterhin keinen würdigen Ort der
Erinnerung.
Den Auftakt lieferte die Bürgerinitiative «Gedenken
in Harburg»
unter Klaus Möller, die mit der Ausstellung «Entfernung
von der Truppe» und den Begleitveranstaltungen dafür
sorgte, dass die Wehrmachtsdeserteure in Hamburg im Gespräch
bleiben. Auch der Zeitpunkt war gut gewählt. Noch bevor die
Ausstellung in der Bücherhalle Harburg zu Ende ging, startete
Pastor Ulrich Hentschel von der Evangelische Akademie seine
anspruchsvolle Veranstaltungswoche «Aufklärung
und Protest».
Mögen zwei seiner Events wetterbedingt nicht allzugut besucht
gewesen sein, die Podiumsdiskussion am 14. November im Uni-Hauptgebäude hielt eine große Überraschung bereit.
Befragt, ob sie sich vorstellen könnten, das 76er Denkmal am
Stephansplatz im Sinne des Deserteursgedenkens umgestaltet zu
wissen, reagierten alle Vertreter der
Bürgerschaftsfraktionen mit einem eindeutigen Ja. Auch wenn die
anwesenden Abgeordneten nur ihre persönliche Meinung kundtaten,
mit solch einem Votum hatten weder die Veranstalter noch das
Publikum gerechnet.
Etwa 30 Teilnehmer machten sich am 18. und 19. November auf dem Weg ins Studienzentrum
Neuengamme, um an der wissenschaftlichen
Tagung über Wehrmachtsjustiz und Kriegerdenkmäler
teilzunehmen. Am Vorabend hatte Magnus Koch in seinem Vortrag in die Thematik
eingeführt. Nach einem Grußwort von Ludwig
Baumann gaben in Neuengamme die von Detlef Garbe gut
ausgewählten Referenten tiefe
Einblicke in das Funktionieren von Kriegsrichtern und
Wehrmachtsgerichten in Hamburg zur Zeit des 2. Weltkriegs. Lars
Skowronski aus Halle/Saale, der im Auftrag der
Bredel-Gesellschaft die auf dem Friedhof Ohlsdorf bestatteten
Opfer der Wehrmachtsgerichte recherchiert, machte seine
Arbeitsweise anschaulich und stellte zwei Fälle vor. Von ihm wird im nächsten Jahr eine
erste Übersicht und Statistik über die hingerichteten
Wehrmachtsdeserteure zu erwarten sein, zumindest über jene, die ihr Ende auf
Ohlsdorf gefunden haben.
Am Abend zeigte der Rostocker Filmemacher Jörg Herrmann seinen Dokumentarfilm «Ungehorsam
als Tugend»
über das Wehrmachtsgefängnis Anklam. Das Team um Herrmann
verstand es, mit Interviews, Dokumenten und künstlerischen
Techniken (Naturschwenks, Trickfilmsequenzen, Lichteffekte), die
durch ihre Verfremdungswirkung Auge und Fantasie ansprachen, auf
das erschütternde Schicksal der in Anklam inhaftierten
Soldaten, die dort auf ihren Tod warteten, aufmerksam zu machen.
Der 74 Minuten lange Streifen ist so eindrucksvoll und neu (er
entstand 2010), dass er bei weiteren
Veranstaltungen unbedingt sein Publikum finden sollte.
Der 2. Tag stand im Zeichen kontroverser Erinnerungspolitik.
Sowohl die hindernisreiche Geschichte des Deserteursgedenkens in
Hamburg, die in Deutschland
bereits existenten Deserteursdenkmäler als auch die
Kriegerdenkmäler Hamburgs, derer es noch 150 gibt, waren die
Gegenstände der Referenten. Ohne Zweifel
wird vielen Tagungsteilnehmern das Beispiel des 2009 in Köln
eingeweihten Deserteursdenkmals vor Augen stehen, wenn es in den
nächsten Monaten darum geht, auch für Hamburg eine solch dauerhafte
Form der Erinnerung zu schaffen. Köln macht Mut.
Bleibt noch zu erwähnen, dass am 25. Oktober der Historiker
Hans Hesse auf Einladung der Gedenkstätte Neuengamme in seinem
Vortrag eine bemerkenswerte Biografie vorgestellt hat, die in
Hamburg bislang unbekannt war. Und dies, obwohl es sich um einen
Hamburger handelt: Kurt Elvers (1919-45), im 2. Weltkrieg verwundet von der
Front nach Hause zurückgekehrt, beginnt 1944 mit einem Kunststudium in
Bremen, wird aber wegen nazikritischer Äußerungen denunziert,
zum Tode verurteilt und am 20.2.1945 am Höltigbaum
hingerichtet. Da, wie der Vortragende berichtete, das Familiengrab der
Elvers' in Ohlsdorf demnächst aufgelassen werden soll, hat die
Willi-Bredel-Gesellschaft wenige Tage nach der Veranstaltung den
Antrag gestellt, für den mutigen Kunststudenten Kurt Elvers auf
dem Geschwister-Scholl-Ehrenfeld einen Gedenkstein zu errichten.
Trotz geringer Medienresonanz: Die Veranstaltungswochen haben
nicht nur den Forschungsstand auf dem Gebiet der
Wehrmachtsjustiz in Hamburg vermittelt, haben nicht nur die
überfällige Erinnerung an die hingerichteten
Wehrmachtsdeserteure mit Kunstaktionen, Film und Ausstellung
angemahnt, ja eingefordert. Sie haben in den Diskussionen
während der Veranstaltungen manches Missverständnis und manche
Unklarheit, die zwischen den drei Akteuren (der Gedenkstätte
Neuengamme, der Ev. Akademie und unserem Bündnis), die für ein
Deserteursdenkmal am Stephansplatz streiten, beseitigt. Die
wichtigsten Weichen sind gestellt! Nun gilts, den Zug in Bewegung zu setzen.
Seine nächsten Haltepunkte heißen Bürgerschaft und Senat, das Ziel
heißt: Ein Deserteursdenkmal am Stephansplatz. nko
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